Wenn das Eis im Nordpolarmeer taut oder zumindest nicht mehr meterdick ist, dann können Eisbrecher dieses Eis brechen. Das schafft ganz neue Routen für die Handelsschifffahrt. Gerade die Handelsströme von Asien, speziell China, an die Ostküste der USA und nach Europa werden so signifikant verkürzt. Die Strecke von China durch die Nordostpassage nach Europa ist zum Beispiel rund 40% kürzer als durch Suez-Kanal. Für Russland ist das besonders interessant, da diese Passage zum Großteil durch die russische Ausschließliche Wirtschaftszone bis 200 Seemeilen (370km) vor der Küste führen würde.
Die Schifffahrt ist aber nur eines der Ziele, die Russland mit seiner kürzlich vorgestellten und von Präsident Putin unterschriebenen Arktis-Strategie verfolgt. Denn die Objekte der Begierde bei der Eroberung der Arktis liegen unter dem schmelzenden Eis. Dort werden Ölvorkommen von 90 Milliarden Barrel (entspricht ca. 110% der entdeckten Reserven Russlands) und etwa 47 Billionen Kubikmeter Erdgas (entspricht ca. 99% der entdeckten Reserven Russlands) vermutet. Auch Kohle, Nickel und andere Rohstoffe sind dort zu finden und sollen von staatlichen russischen Konzernen, wie Rosatom (Atomkraft), Rosneft (Öl) oder Gazprom (Gas) ausgebeutet werden.
Der Abbau von Rohstoffen im Polarkreis im großen Stil kann katastrophale Folgen für das Weltklima und speziell für Russland selbst haben. So wüteten 2019 die schwersten Waldbrände seit Jahren in Sibirien und auch der Permafrostboden dort schmilzt immer schneller. Taut der Boden auf, so werden große Mengen CO2 freigesetzt, schon jetzt steigt die Temperatur in Russland 2,5 Mal so schnell, wie im Durchschnitt. Zwar sind sich russische Regierung und die Ministerien im Klaren über die möglichen Konsequenzen, für den Kreml wiegen die wirtschaftlichen Argumente aber offenbar schwerer.
Um den Nordpolarkreis zu erschließen, will Russland in den kommenden Jahren vier Flugplätze ausbauen und mehrere Eisenbahnlinien, Pipelines, Häfen, Terminals und Autobahnen aus- und neu bauen. Außerdem sollen in den kommenden 15 Jahren 40 Arktis-taugliche Schiffe gebaut werden. So hat der Kreml schon rund 1,8 Milliarden Euro locker gemacht, um sechs neue nuklear-betriebene Eisbrecher anzuschaffen. Aber nicht nur Russland baut neue Eisbrecher, auch andere Anrainerstaaten sind dabei sich solche Schiffe zuzulegen, um ganzjährig befahrbare Schifffahrtsrouten eröffnen zu können.
Je mehr wirtschaftliche Möglichkeiten sich eröffnen, desto härter wird darum gekämpft. Russland hat in den vergangenen Jahren seine Nordflotte, bestehend aus über 80 Schiffen, darunter etwa die Hälfte U-Boote, kräftig modernisiert. Auch haben die Russen ihre Militärkapazitäten in der Arktis deutlich ausgebaut. Andere Staaten, wie die skandinavischen, die USA und Kanada, beobachten diese Aufrüstung aufmerksam und zeigen sich darüber zunehmend beunruhigt.