Zwischen Adria, Schwarzem Meer und Ostsee haben sich 12 Länder zusammengetan, für die Wirtschaft und gegen Russland: Die “Three Seas Initiative”. Gegründet im Jahr 2015 von Kroatien und Polen gehören inzwischen alle 12 Osteuropäischen EU-Mitgliedsstaaten dazu: Estland, Lettland, Litauen, Polen, Tschechien, Slowakei, Österreich, Ungarn, Slowenien, Kroatien, Rumänien und Bulgarien. Obwohl diese Staaten mit fast 113 Millionen Einwohnern über ein Viertel der Gesamtbevölkerung der EU ausmachen, sind sie nur für knapp 12% des BIPs verantwortlich. 

Die Mitgliedsstaaten der Three Seas Initiative hier in dunkelblau. Karte: Das Hochformat

Interessant auch die Gastredner beim ersten Gipfel der Initiative 2016 im kroatischen Dubrovnik: US-General James L. Jones zur Sicherheitspolitik in der Region und der Ministerialassistent beim chinesischen Außenministerium Liu Haixing zur Vernetzung der Initiative mit Chinas neuer Seidenstraße (Belt and Road Initiative). Die Auswahl der Gastredner ist Bezeichnend für die zwei Ziele des Zusammenschlusses – die Wirtschaft anzukurbeln und sich geopolitisch gegen Russland in Stellung zu bringen. 

Vor allem soll die Region besser von Norden nach Süden zusammenwachsen, die Achsen in dieser Richtung sind nämlich schon historisch bedingt unterentwickelt. Denn die Sowjetunion, die ihren geopolitischen Einfluss auch durch Infrastruktur im wahrsten Sinne des Wortes zementierte, förderte natürlich speziell den Bau von West-Ost-Verbindungen. Um einerseits die Wirtschaftliche Anbindung der Satellitenstaaten an die UdSSR zu verbessern, und natürlich auch schnell Truppen und Material an die Grenze zur NATO schicken zu können. Aber eben auch, um schnell militärische Macht in den Blockstaaten einsetzen zu können, sollte Moskau seine Interessen dort gefährdet sehen. Nach dem Zusammenbruch des Ostblocks änderte sich die Ausrichtung der Staaten Osteuropas von Moskau nach Paris, Berlin und Washington. Doch die Richtung der Infrastruktur blieb bestehen.

Der Vergleich wird oft gezogen: die Three Seas Initiative unter der Führung Polens knüpfe, nicht nur namentlich, an die Idee des Intermatiums (Międzymorze) an. Die Idee der Międzymorze entstand nach dem Ende des Ersten Weltkrieges im gerade wieder unabhängigen Polen. Ein Zusammenschluss von Staaten zwischen Ostsee, Schwarzem Meer und Adria sollte sich gegen die beiden Großmächte Deutschland und Russland wehren können. Der Plan sah ein Staatenbund unter der Führung Polens vor, dem auch die Staaten des Baltikums, Finnland, die Ukraine, Jugoslawien, die Tschechoslowakei, Bulgarien und Rumänien angehören sollten. Der Pakt kam aber nie zum Tragen, da viele Staaten die Dominanz Polens fürchteten.

Ein Anknüpfen der Three Seas Initiative an diese Idee wird oft mit Verweis auf deren wirtschaftlichen Charakter und den militärischen der Międzymorze abgetan.

Gas und Geopolitik

In der Region wird das Gasnetz kräftig ausgebaut. Die EU befürwortet die Integration des europäischen Energiemarktes – vor allem den Anschluss an den gut integrierten westeuropäischen Markt – und unterstützt die einzelnen Projekte deshalb finanziell. 

So sieht die Gasversorgung Europas momentan aus: Gut ist hier zu sehen, wie durch Nord Stream 2 und South Stream die bisherigen Transitländer (Ukraine, Weißrussland, Polen) umgangen werden können. Karte: Das Hochformat

Die Kapazitäten der Pipelines sind zum Großteil überdimensioniert, doch das könnte sich durch mehrere Faktoren ändern: Erstens wird bei guter Infrastruktur das Gas günstiger und kann so eine größere Rolle in der Energieversorgung einnehmen. Zweitens ist Gas der wichtigste Energielieferant während der Umstellung auf erneuerbare Energien und wesentlich klimafreundlicher als Kohle und Öl.

Die Projekte der Initiative: Deutlich sichtbar sind hier die Verbindungen von Norden nach Süden und die neuen LNG-Terminals. Karte: Das Hochformat

Neben den offensichtlichen wirtschaftlichen Vorteilen spielen dabei auch geopolitische Interessen eine Rolle. So ist es ein Ziel, die Energieversorgung zu diversifizieren und sich weniger abhängig von russischem Gas zu machen und Moskau damit ein Druckmittel zu nehmen. 

Die Alternative zum Gas aus Sibirien wäre neben Gas aus Norwegen vor allem Flüssiggas (LNG) von der anderen Seite des Atlantiks, aus Louisiana. Dafür entstehen in Polen und im Baltikum bereits mehrere Terminals. Die USA versuchen schon länger ihr offensichtlich als Spitze gegen Moskau “Freedom Gas” genanntes Flüssiggas stärker auf dem europäischen Markt zu etablieren und das Monopol des russischen Energieriesen Gazprom zu brechen. Deshalb kritisieren die USA und viele osteuropäische Staaten auch den Bau von Nord Stream 2. 

Nord Stream 2 ist ein deutsch-russisches Pipelineprojekt, das vom russischen Vyborg bei St. Petersburg durch die Ostsee nach Lubmin bei Greifswald führt und somit den Gastransit durch Osteuropa umgeht. Bisher liefen die großen Gasleitungen durch die Ukraine, Weißrussland und Polen, die nun um ihren Einfluss und ihre Einnahmen fürchten. Die USA hatten das Projekt zuletzt 2019 durch Sanktionsdrohungen gegenüber der Firma, die die Röhren am Meeresgrund verlegen sollte, verzögert.

Strom und Digitalisierung

Auch die Stromnetze, zum Beispiel die der Baltischen Staaten, sollen ausgebaut und mit den europäischen Netzen besser verbunden werden. Ebenso ist auch der Bau eines Pumpspeicherkraftwerks Teil der Initiative.

Ein weiteres von der Initiative bearbeitetes Feld ist die Digitalisierung. So ist neben dem einfachen Breitband- und 5G-Netzausbau und dem Glasfaserausbau in Nord-Süd-Richtung auch eine verstärkte Kooperation bei der Nutzung der entstehenden Infrastruktur geplant. Zum Beispiel sollen die Rettungsdienste und Sicherheitsbehörden der Staaten besser digital vernetzt werden. Zur Zeit wird auch eine Börse für Logistik und Transportdienstleistungen eingerichtet, die den Warenaustausch zwischen den Mitgliedsländern vereinfachen soll. Im gleichen Atemzug soll eine Plattform eingerichtet werden, die Unternehmen aus der ganzen Region zusammenbringt und bei der Interaktion mit den verschieden staatlichen Stellen hilft. Auch sollen unter der Führung Polens die wirtschaftlichen Möglichkeiten von Drohnen erkundet werden.

Straße, Schiene, Schifffahrt

Wenn das Schlagwort “Infrastruktur” fällt, wird oft ausschließlich an Straßen und Eisenbahnlinien gedacht. Auch wenn bei der Three Seas Initiative das Gas die wohl größte Rolle spielt, beinhaltet die Initiative auch ambitionierte Projekte für die Transportinfrastruktur.

Auch hier ist schön der Fokus auf den Ausbau der Achsen in Nord-Süd-Richtung zu sehen. Karte: Das Hochformat

Mit der Via Carpathia soll eine durchgehende Autobahnverbindung von Litauen im Norden bis ins griechische Thessaloniki im Süden geschaffen werden und mit der Via Baltica das Baltikum über Polen an Tschechien angebunden werden. Neben einer Hochgeschwindigkeitsstrecke durch das Baltikum und der “Viking Train” durch Weißrussland und die Ukraine ist die Baltisch-Adriatische Achse das wohl umfangreichste Projekt.

Unter diesem Oberbegriff werden zahlreiche einzelne Infrastrukturprojekte für Schiene und Straße zusammengefasst. Wie der Name schon verrät soll damit eine durchgehender Verkehrskorridor von der Ostsee bis zur Adria geschaffen werden. Dafür werden neben Straßen und Schienen auch Brücken gebaut, Tunnel gesprengt und Häfen ausgebaut. 

Auch die Wasserwege im Herzen Europas sollen ausgebaut und verbessert werden. Das prominenteste Projekt hier ist wohl der Oder-Elbe-Donau-Kanal, durch den gerade Tschechien und Österreich profitieren und an die Ostsee angebunden werden. Naturschützer warnen allerdings vor dem Projekt, da es schwere Eingriffe in Natur und Umwelt bedeutet.

Freunde und Finanzen

Eine wichtige Rolle beim Ausbau spielt der “Three Seas Initiative Investment Fund”. Denn in der Vergangenheit fehlte es meist nicht an politischem Willen, sondern schlicht und ergreifend am Geld. Die zwei stärksten Länder innerhalb dieser neuen Allianz, Polen und Rumänien haben jeweils schon 500 Millionen Euro in den Fonds eingezahlt und sind über ihre jeweiligen nationalen Förderbanken vertreten.

Mit dieser finanziellen Grundausstattung sollen auch private Investoren und Pensionsfonds angeworben werden. Das Ziel ist, so etwa 3 bis 5 Milliarden Euro zu sammeln und sich mit dem Fonds kommerziell mit bis zu 100 Milliarden Euro in die geplanten Infrastrukturprojekte einzukaufen.

Dabei soll das Geld des Fonds Zuschüsse von der EU (z.B. 2,5 Milliarden für den Netzausbau), den Nationalstaaten oder andere Geldquellen anregen, denn die benötigten Investitionen in der Three-Seas-Region werden auf rund 570 Milliarden Euro geschätzt. Über den Fonds soll auch die Unterstützung durch Verbündete laufen. So hat US-Außenminister Mike Pompeo auf der Münchner Sicherheitskonferenz angekündigt, eine Milliarde US-Dollar zu überweisen.

Familienfoto mit US Präsident Donald Trump beim Gipfel in Warschau 2017. Bild: Kancelaria Prezydenta RP, Krzysztof Sitkowski (CC BY-SA 4.0)

Die USA sind einer der wichtigsten Partner der Initiative. Während sich die Beziehungen westeuropäischer Staaten mit den USA unter Trump maßgeblich verschlechtert haben, hat sich das Verhältnis der Osteuropäer zu Washington verbessert. So war Donald Trump im Jahr 2017 beim Gipfel von Warschau zu Gast. Also vor EU-Kommissionspräsident Juncker, der ein Jahr später zum ersten Mal teilnahm. Dabei sind die USA vor allem an der geopolitischen Bedeutung des Projektes gegenüber Russland interessiert. Aber auch daran, mit den osteuropäischen Staaten, ihren durch den Brexit verlorenen Einfluss in der EU zumindest ansatzweise zu ersetzen.

Ein weiterer wichtiger Partner – allerdings einer mit eher wechselhafter Haltung zur Initiative – ist Deutschland. Mit der Teilnahme von Bundespräsident Steinmeier am Gipfel von Ljubljana zeigte Deutschland letztes Jahr erstmals echtes Interesse an der Initiative und ihren Zielen. Zuvor war der Zusammenschluss in Berlin eher kritisch gesehen worden, als weitere Spaltung der EU in Ost und West, als Konsequenz aus dem Streit über die Flüchtlingskrise von 2015 und als Reaktion auf Nord Stream 2.

Deutschland hat inzwischen die geostrategische Bedeutung der Region erkannt. Auch weil die USA, Russland und China dort schon lange unverblümt ihre Interessen verfolgen. Diese Erkenntnis hat in Berlin und Brüssel aufgerüttelt. Außenminister Heiko Maas hatte 2018 sogar den Beitritt Deutschlands zur Initiative vorgeschlagen, dem aber alle Three-Seas-Staaten zustimmen müssten. Rumäniens Präsident Klaus Ioannis (PNL/EPP) befürwortete die Idee, während Polens Präsident Andrzej Duda (PiS/ECR) den Vorschlag einfach ignorierte.

Doch inzwischen ist Deutschland der wichtigste Partner der Initiative. Auch weil viele der Infrastrukturprojekte direkt durch oder nach Deutschland führen. 

Die Initiative wird teilweise auch als Union in der Union gesehen, als anti-deutscher Block innerhalb der EU. Doch der Charakter der Initiative ist viel eher als eine Arbeitsgruppe mit gemeinsamem Thema innerhalb der Union zu begreifen. Die östlichen Mitgliedsstaaten der EU nehmen das Heft des Handelns in die Hand und machen in Eigenregie die Geopolitik, die die EU nicht macht. Die Initiative ist keine Abkehr von Brüssel, sie ist ein Zeichen für den Willen nach stärkerer Zusammenarbeit.

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