Neuer Brückenbauer

Der irische Finanzminister und neue Eurogruppenchef Paschal Donohoe (Fine Gael/EVP) bei der Wahl des neuen Regierungschefs im irischen Unterhaus Ende Juni – Bild: MAXWELLS/ Houses of the Oireachtas / Flickr (CC BY 2.0)

Der irische Finanzminister Paschal Donohoe (Fine Gael/EVP) wurde zum neuen Vorsitzenden der Eurogruppe gewählt. Er setzte sich in einer Kampfabstimmung am Donnerstag (09.07) mit 10 zu 9 Stimmen gegen seine spanische Amtskollegin Nadia Calviño (*S&D) durch, die mit jahrelanger Erfahrung in Brüsseler Institutionen als ein europapolitisches Schwergewicht gilt und deshalb als Favoritin gehandelt wurde.

Überdies hatten die vier größten EU-Volkswirtschaften Deutschland, Frankreich, Italien und Spanien, die zusammen für 80% der EU27-Wirtschaftsleistung aufkommen, der spanischen Vize-Ministerpräsidentin ihre Unterstützung zugesagt. Calviño ist momentan die einzige Frau in der Gruppe der Finanzminister*innen der 19 Euroländer und wäre auch die erste Frau gewesen, die die Präsidentschaft inne gehabt hätte.

Der dritte Kandidat im Rennen um die Top-Position, der äußerst erfahrene luxemburgische Finanzminister Pierre Gramegna (DP/RE), zog seine Kandidatur nach der ersten Runde zurück.

Die Eurogruppe ist ein informelles Gremium, das die Wirtschaftspolitik der Euroländer koordiniert und ihre Haushaltsdisziplin überwacht. Es besteht aus den 19 Finanzminister*innen der Eurozone, die aus ihren Reihen als Primus inter pares einen oder eine Vorsitzende*n wählen.

Der Vorsitzende der Eurogruppe legt die Tagesordnung der monatlichen Sitzungen fest. Seine Rolle entspricht dabei weniger der eines Präsidenten, als vielmehr der eines Vermittlers. Der tatsächliche Einfluss des Postens hängt also stark von seinem oder seiner Inhaber*in ab.

Die von der Eurogruppe hinter verschlossenen Türen gefassten Beschlüsse sind nicht rechtskräftig. Das Gremium dient deshalb vor allem zur Konsensbildung im Voraus der Sitzungen des Rats für Wirtschaft und Finanzen (ECOFIN), in dem die Finanzminister*innen der Eurozone die zuvor ausgehandelten Leitlinien der Wirtschaftspolitik dann offiziell beschließen.

Die Institution der Eurogruppe steht häufig unter Kritik, z.B. im Hinblick auf mangelnde Transparenz, fehlende demokratische Kontrolle oder die problematische Doppelrolle des Vorsitzenden, der zugleich Finanzminister eines Eurolandes bleibt.

Donohoe, dessen Position in der irischen Regierung bis vor wenigen Wochen aufgrund der zähen Koalitionsverhandlungen alles andere als gesichert schien, gewann die geheime Stichwahl mutmaßlich mit den Stimmen der nördlichen und östlichen Euroländer.

Lange Schatten der Vorgänger

Donohoe tritt in die Fußstapfen des Portugiesen Mario Centeno (PS/S&D), der im Juni seinen Rücktritt vom Amt des Finanzministers und somit auch vom Vorsitz der Eurogruppe ankündigte. Anfang des Jahres beschloss das portugiesische Parlament auf seinen Vorschlag hin den ersten Haushalt mit positiver Bilanz seit fast fünfzig Jahren.

Der scheidende Eurogruppenchef und portugiesische Finanzminister Mario Centeno (PS/S&D) bei seiner wahrscheinlich letzten Sitzung in der Eurogruppe – Bild: © European Union

Auf europäischer Ebene stand Centeno jedoch stets im Schatten seiner großen Vorgänger Jean-Claude Juncker (EVP), dem späteren Kommissionspräsidenten, und dem Niederländer Jeroen Dijsselbloem (S&D), unter deren Vorsitz (Juncker bis 2013 und Dijsselbloem bis 2017) im Zuge der Schuldenkrise in teils dramatischen Sitzungen wichtige Entscheidungen getroffen wurden, um den Zerfall der Eurozone abzuwenden.

In Bezug auf europapolitische Großprojekte wie ein eigener Haushalt für die Eurozone oder eine gemeinsame Rücklagensicherung für Ersparnisse gelang es Centeno nicht, die große Kluft zwischen den nord- und südeuropäischen Mitgliedsstaaten zu überbrücken und große Durchbrüche zu erwirken.

„Ich hätte es bevorzugt, wenn wir im Bereich der Bankenunion mehr Akten abgeheftet hätten.“

Mario Centeno (PS/S&D) im Rückblick auf seine zweieinhalbjährige Amtszeit

Erst am Ende seiner Amtszeit konnte er mit der Einigung über das milliardenschwere Corona-Hilfspaket kurz vor Ostern einen öffentlichkeitswirksamen Erfolg für sich verbuchen.

Sein Nachfolger Donohoe hat sich diesbezüglich bereits hehre Ziele gesteckt und gibt sich als Brückenbauer. Nach seinen Vorstellungen soll die Eurogruppe, in deren Sitzungen in letzter Zeit regelmäßig auch die Nicht-Euroländer der EU teilnehmen, unter seinem Vorsitz ein Forum zur Konsensfindung im Ringen um den vielbeschworenen Recovery Fund werden.

“Wir haben eine weitaus größere Chance, diese Einigung durch die Eurogruppe zu erreichen.”

Paschal Donohoe (Fine Gael/EVP), irischer Finanzminister und neuer Eurogruppenchef

“Es ist die Länge der Treffen, die Möglichkeit der Menschen, frei zu sprechen, und es ist die Bereitschaft und der Wunsch zum Konsens in dieser bestimmten Gruppe”, sagte er wenige Tage vor seiner Wahl im Interview mit POLITCO. Dem Recovery Fund gibt Donohoe in seinem neuen Posten deshalb für die kommenden Monate höchste Priorität. Alles andere müsse warten.


4 Take Aways

Die Wahl des mit 45 Jahren jüngsten und europapolitisch wahrscheinlich unerfahrensten Kandidaten ist in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert:

1. Klein gegen groß

Es kommt auf europäischer Ebene nicht häufig vor, dass die Stimmen der Mitgliedsstaaten unabhängig von ihrer Größe oder ihrem wirtschaftlichen Gewicht gleich viel zählen, geschweige denn, dass sich für einen potenziell äußerst einflussreichen Posten ein Kandidat durchsetzt, der von keinem der großen Mitgliedsländer unterstützt wird.

Für die Mitglieder der „Neuen Hanseatischen Liga“, einer informellen Interessensgruppe aus acht nordeuropäischen und baltischen Staaten innerhalb der Eurozone, sprach neben der Aussicht, dass mit Irland einer der ihren den Vorsitz der Eurogruppe übernehmen könnte, vor allem einiges gegen Donohoes Konkurrentin Calviño.

Zum einen wäre es der zweite europäische Top-Posten für Spanien, das mit Josep Borrell (S&D) bereits den Chefdiplomaten der EU stellt. Ausschlaggebender für die Ablehnung der skandinavischen und baltischen Staaten war sicherlich aber eine Bemerkung Calviños aus dem Jahre 2018, in der sie die Hanseatische Liga als eine Gruppe „kleiner Staaten mit geringem Gewicht“ bezeichnete.

2. Zurück zur alten Machtbalance

Die parteipolitische Machtbalance innerhalb der EU hat sich nach der Wahl Donohoes in Richtung der EVP (zurück-)verschoben. Nachdem die europäischen Christdemokraten Ende letzten Jahres mit dem Vorsitz im Europäischen Rat und im Europäischen Parlament zwei wichtige Posten an die Liberalen (RE) bzw. die Sozialdemokraten (S&D) abtreten mussten, kontrollieren sie nun erneut die Mehrheit der EU-Spitzenämter.

3. Frugale Absichten

Das Rennen um den Eurogruppen-Vorsitz war unter Umständen bereits ein Vorgeschmack auf die anstehenden Grabenkämpfe im Ringen um den Recovery Fund. Die von den europäischen Sozialdemokraten (S&D) unterstützte Calviño repräsentiert mit Spanien eines der Länder, das für einen umfänglicheren Wiederaufbaufonds mit weniger strengen Bedingungen einsteht, und ist als Befürworterin einer tiefergreifenden Integration der Eurozone bekannt.

Der Konservative Donohoe hingegen dürfte sich die Stimmen der Länder gesichert haben, die für strengere Vergabebedingungen für den Recovery Fund eintreten; namentlich den „Frugal Four“ Österreich, den Niederlanden, Dänemark, Schweden und neuerdings auch Finnland (die drei letzteren sind allesamt sozialdemokratisch regiert).

4. Brückenbauer Irland

Ein irischer Eurogruppenchef könnte sich in der Tat als ein idealer Brückenbauer für den Graben zwischen Nord- und Südeuropa erweisen. Denn wie kein anderes Land in der EU kennt Irland beide der so unterschiedlichen finanziellen Ausgangslagen.

Während Irland als nordeuropäisches Land und Mitglied der Hanseatischen Liga in Sachen Wirtschafts- und Finanzpolitik traditionell den „Frugal Four“ (oder „Five“) nahe steht, erhielt es infolge der Finanzkrise wie viele südeuropäische Länder Geld aus dem Eurorettungsschirm. In Dublin sollte man insofern eigentlich auch um die Problematik zu strenger Auflagen für die Haushaltsdisziplin bei der Vergabe von EU-Hilfsgeldern wissen.

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