Geht mit Gott, aber geht! Noch ein Kommentar über den Brexit...

Der Brexit – ja noch ein Artikel über dieses, einem inzwischen mit erstaunlich hohem Druck aus den Gehörgängen quillende Thema. Noch ein Artikel über dieses elendige Rumgemurkse in London, noch ein Artikel, der als Titelbild ein jedes beliebige Stock-Brexit-Bild mit zerrissenen Flaggen, abblätternder Farbe oder sonstiger bedeutungsschwangerer Symbolik verwenden könnte.

Klatsche die dritte und die politisch schon längst mausetote britische Premierministerin will sich vor ihrem unausweichlichen Abgang noch eine Abstimmung um die Ohren hauen lassen. Denn alle guten Dinge sind ja bekanntlich vier. Oder so ähnlich…

Aber egal ob mit oder ohne Deal, die Briten müssen jetzt gehen. Nicht in einem Jahr. Sie müssen jetzt raus, denn sie haben die EU jetzt drei Jahre aufgehalten und dringend gebrauchte Kapazitäten, um die EU zukunftsfest zu machen, gebunden. Jetzt ist Schluss und deshalb, liebe Briten: Geht mit Gott, aber geht!

Wir würden uns freuen, euch in 10 bis 15 Jahren wieder bei uns als Mitglied begrüßen zu dürfen. Dann aber ohne Rosinenpickerei und als konstruktives Mitglied der europäischen Idee. Doch jetzt muss der Brexit abgeschlossen werden, denn alle, sogar die, was langwierige und ergebnislose Verhandlungen angeht, hart gesottenen EU-Diplomaten, sind mittlerweile von den Briten nur noch genervt. Der Brexit bindet einfach zu viel Diskursenergie, die wir dringend benötigen würden, um Europa nach vorne zu bringen und eine konstruktive Vision zu entwickeln. Dem entgegen wirkt nicht aber nur der Brexit, sondern zum Beispiel auch AKK, die auf den Vorstoß Emanuel Macrons für gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik mit der Forderung an die Franzosen, ihren ständigen Sitz im Sicherheitsrat zu europäisieren, geantwortet hat. Wenn ihre Europastrategie daraus besteht, den Franzosen ihr einzig verbliebenes Symbol für den verlorengegangenen Weltmachtstatus wegnehmen zu wollen, ist das nicht nur diplomatisch höchst ungeschickt, sondern in Anbetracht der quasi nicht vorhandenen deutschen Reformvorschläge für die EU einfach nur unverschämt.

Doch zurück zu den Briten. Die dürfen sich nun also auf einen Brexit ohne Abkommen gefasst machen, denn es ist unwahrscheinlich, dass der Deal von Theresa „Dancing Queen“ May beim vierten Anlauf angenommen wird. Wahrscheinlich wird die britische Regierung dann wieder eine Verlängerung der Austrittsfrist beantragen, nur, ob dem Unterhaus von Seiten der EU weitere Zeit zugestanden wird, zu allen konstruktiven Vorschlägen „No“ zu sagen, ist fraglich. Erstens sind sowohl Staats- und Regierungschefs und ihre Diplomaten, als auch große Teile der Bevölkerung das Thema leid. Zweitens spielen hier knallharte machtpolitische Überlegungen eine große Rolle, denn sowohl die EVP (Fraktion der Christdemokraten) als auch die ALDE (Fraktion liberaler Parteien) im Europaparlament dürften nicht sonderlich an der Teilnahme der Briten an der Europawahl interessiert sein. Sollten die Briten nämlich noch einmal Abgeordnete ins EU-Parlament entsenden müsste sich EVP-Spitzenkandidat Manfred Weber bei der Wahl zum Kommissionspräsidenten noch mehr Stimmen besorgen, um gute Chancen auf den Posten zu haben. Da die Tories nicht in der EVP sind und die ALDE momentan nur einen Abgeordneten aus Großbritannien hat, dürften die diesen Parteienfamilien angehörigen Staats- und Regierungschefs kein Interesse an einer Teilnahme des Vereinigten Königreichs an den Europawahlen haben.

Das Worst-Case-Szenario wäre aber ein Aufkündigen von Artikel 50, also der Abbruch des Brexit. Denn die Hardliner auf der Insel bekämen eine Steilvorlage für ihre Angriffe auf die Demokratie nach dem Motto „die Politik hört nicht auf den Volkswillen“. Dann würde sich erstens die Spaltung der Gesellschaft vertiefen, aber zweitens und viel schlimmer: die Rechtspopulisten würden wahrscheinlich noch mehr Einfluss auf oder die Regierung bekommen oder sogar selbst in die Downing Street einziehen. Das wäre für das UK schlecht, aber noch viel schlechter für die EU. Großbritannien könnte dann alle Entscheidungen der EU torpedieren und nicht nur Sand sondern Kieselsteine ins Getriebe der EU streuen. Wichtige Zukunftsentscheidungen könnten blockiert werden und die EU würde erpressbar werden weil die britische Regierung  dafür, dass sie die EU nicht blockiert, weitreichende Zugeständnisse für zukünftige Austrittsgespräche fordern könnte. Für die EU könnte es also existenziell sein, dass die Briten zeitnah gehen. In Anbetracht der Gefahr, die ein Abbruch des Brexit für die EU darstellt, ist ein No-Deal Brexit ein geradezu angenehmes Szenario.

Ich will gar nicht weiter auf das Versagen des Unterhauses und der Regierung eingehen, aber so viel sei gesagt. Die Briten sind derart durch den Wind und die Abgeordneten in unzählige Grabenkämpfe verwickelt, dass das Beste für alle Beteiligten, vor allem für die Wirtschaft, einfach Klarheit wäre. Leider ist Klarheit in London Mangelware. Das Einzige, was sie zumindest wieder in Teilen herstellen könnte, ist ein sauberer Schnitt, also ein zügiger Austritt und anschließende Neuwahlen, um ein wenig Ordnung in die Zeit nach dem Brexit zu bringen. Nach dem Lecken der eigenen Wunden, müssen beide Seiten dann aber schleunigst einen breiten Diskurs über die eigene und gemeinsame Zukunft führen, um nicht in der Vergangenheitsbewältigung stecken zu bleiben. Oder wie es Satiriker Jan Böhmermann formuliert hat:

„Wir sind irgendwie ausversehen mit Europa rückwärts und mit 180 ohne Licht in die Sackgasse reingefahren und jetzt stehen wir da mit zerbeultem Heck an der Wand und wundern uns warum es rückwärts nicht mehr weitergeht und schreien uns gegenseitig an in 24 Sprachen. Dabei gibt es doch eigentlich eine einfache Möglichkeit da rauszukommen: Vorwärtsgang einlegen, Fernlicht an und mit Vollgas nach vorne.“

Die ideale Starthilfe für einen Kavalierstart mit rauchenden Reifen für die EU in Richtung Zukunft ist die Europawahl im Mai, bei der es darauf ankommt, genug positive Energie ins Europaparlament zu wählen und der in Großbritannien eindrucksvoll zur Schau gestellten Destruktivität des Populismus eine entschiedene Absage zu erteilen und letztendlich den Briten die Hand, respektive das Starterkabel über den Kanal zu reichen.


Video im Neo Magazin Royale


Anmerkung vom 7. April 2019

“Wenn wir gezwungen sind, bleiben zu müssen, müssen wir das schwierigste Mitglied sein”, so Jacob Rees-Mogg, Chef der europakritischen European Research Group im Sender Sky News. Diese Aussage ist der Beweis dafür, dass die Hardliner, wie oben beschrieben im Falle eines Verbleibs des Vereinigten Königreichs in der EU alles daran setzen werden diese zu blockieren um ihren Willen zu erpressen.

 

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