Orbanisierung und Sklavengesetz Wie sich Ungarn unter Viktor Orban von der Demokratie entfernt…

Kaum ein osteuropäisches Mitgliedsland der EU ist so präsent in den deutschen Medien wie Ungarn. Und das aus gutem Grund. Denn die rechtsnationale Regierung unter Regierungschef Viktor Orban bewegt Ungarn immer weiter in Richtung einer illiberalen und autoritären Demokratie. So werden Presse und Wissenschaft unter Druck gesetzt, EU-feindliche Rhetorik betrieben und Verschwörungstheorien rund um den liberalen Milliardär und neuen National-Bösewicht George Soros von der Regierung und offiziellen Stellen aktiv verbreitet. Die Regierungspartei Fidesz, die übrigens wie CDU und CSU Mitglied der EVP im EU-Parlament ist, versucht gerade durch die Einschränkung kritischer Medien die Meinungshoheit zu erlangen. Die Medien sind zwar noch längst nicht so unterdrückt wie in der Türkei, aber Orban hat es geschafft durch ein neues Mediengesetz und mit der Hilfe von regierungsnahen Oligarchen, die staatlichen und viele kommerzielle Medienanstalten auf seine Linie zu bringen. So wurden der neu gegründeten „Mitteleuropäischen Stiftung für Medien und Presse“ rund 500 Zeitungen, Online-Medien, Fernsehsender und Radiosender unterstellt, um sie zu einer regierungsfreundlichen Echokammer zu machen. Die als „Schenkungen“ an die Stiftung übertragenen Medien gehörten zumeist regierungsnahen Oligarchen, weshalb diese Medien seit jeher eine unkritische Haltung gegenüber der Regierung eingenommen haben. Bedeutsam in der Ungarischen Fernseh- und Medienlandschaft ist RTL, denn während wir in Deutschland mit DSDS und dem Dschungelcamp Perlen des investigativen Journalismus zu sehen bekommen, berichtet der deutsche Privatsender in Ungarn regierungskritisch, erreicht damit hohe Einschaltquoten und ist die kritische Ausnahme im ansonsten regierungsfreundlichen Fernsehen.

Doch nicht nur die Medien, auch die Wissenschaft steht unter Druck: So will die Regierung von Premierminister Orban die wichtigste Wissenschaftsinstitution im Lande, die renommierte Ungarische Wissensakademie, umstrukturieren und durch ein neu gegründetes Ministerium über die Verteilung der finanziellen Mittel innerhalb der 1825 gegründeten Akademie kontrollieren. Damit sollen vor allem die Forschungen der Akademie rund um die Themen Gender, Homosexualität oder Einwanderung unterbunden werden. Unter dem Deckmantel der fehlenden Effizienz des ungarischen Forschungs- und Lehrbetriebs wird dieser quasi gleichgeschaltet. Die liberale Central European University von Orbans Intimfeind, dem amerikanisch-ungarischen Investor George Soros, wurde durch neue Gesetzte aus Budapest vertrieben.

Doch nicht nur für die freie Presse und die Wissenschaft hat sich das Klima in den letzten Jahren verändert, sondern auch für die Frauen. Orbans Regierung will nämlich das Schrumpfen der ungarischen Bevölkerung aufhalten und umkehren – dazu müsste laut Regierung die Fertilitätsrate von 1,5 auf 2,1 Kinder pro Frau ansteigen. Um dieses Ziel zu erreichen hat die Regierung große finanzielle Förderprogramme gestartet, die das Kinderkriegen wieder attraktiv machen sollen. Soweit so gut, doch die gesamte Kampagne ist von einem völkischen und ausgrenzenden Unterton durchsetzt, weshalb Orban die Zeugung von Nachwuchs zur überlebenswichtigen, nationalen Aufgabe, aber vor allem als Gegenentwurf zur Migration erklärt hat. Das eigentliche Problem Ungarns ist aber die Abwanderung von jungen, gut ausgebildeten Ungarn ins europäische Ausland. Dagegen wird aber nur eine neue und liberalere Politik helfen.

Trotz des demokratiefeindlichen Klimas zieht es weiterhin Investoren und Firmen, vor allem deutsche Autofirmen, nach Ungarn. So investieren neben Continental und Bosch die Bayrischen Motorenwerke rund eine Milliarde Euro in ein neues Werk und das nicht zuletzt wegen der 2017 auf 9% gesenkten Körperschaftssteuer und dem flexiblen Arbeitsrecht. Aber auch die anderen deutschen Autobauer haben sich in Ungarn niedergelassen. Mercedes-Benz betreibt eines, Audi gleich zwei Werke. Und trotz EU-feindlicher Rhetorik, Rechtstaats- und Demokratieabbau wächst Ungarns Wirtschaft konstant und das gerade wegen den Errungenschaften der EU und den guten Handelsbeziehungen, vor allem zu Deutschland.

Doch auch Viktor Orban steht immer mehr unter Druck, denn gegen das Mitte März vom Parlament gebilligte, so genannte „Sklavengesetz“, welches die Rechte der Arbeitnehmer beschränkt und Unternehmen berechtigt 400 Überstunden jährlich zu verlangen gingen zuletzt zehntausend Menschen auf die Straßen. Dabei ist besonders bemerkenswert, dass sich dem Protest Gewerkschaften, die Zivilgesellschaft und  Oppositionsparteien aus allen politischen Lagern von links wie von rechts beteiligen. Die Proteste richten sich inzwischen aber nicht mehr nur gegen das Arbeitsgesetz, sondern auch die einseitige Berichterstattung des staatlichen Rundfunks, die Einschränkungen in der Pressefreiheit oder die Korruption innerhalb der Regierung Orban.

Die ungarische Regierung unter Premier Orban geht mit großen Schritten in die Richtung einer Autokratie á la Erdogan oder Putin; und das im Herzen Europas. Die EU hat die Ungarische Regierung, maßgeblich auf Treiben des sozialdemokratischen Vizekommissionspräidenten Frans Timmermanns, vor dem Europäischen Gerichtshof verklagt, bisher aber ohne große Wirkung. Was also die Instrumente der Kommission zur Erhaltung der Demokratie in Mitgliedsstaaten mit autokratischen Tendenzen angeht muss man der EU leider Zahnlosigkeit attestieren.

Viktor Orban hat die anstehende Europawahl als „finale Schlacht“ bezeichnet. Sorgen wir, indem wir unsere Stimme einer demokratischen und proeuropäischen Partei geben, dafür, dass er und seine autoritären Gesinnungsgenossen diese verlieren…

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