Die Digitalunion die EU und das Netz

Europa muss seine Zukunft aktiv gestalten, wir können nicht erwarten, dass wir einfach so vor uns hin trotten können und am Ende alles gut wird. Das gilt überall, aber vor allem bei der Digitalisierung. Wir müssen steuern, nicht gesteuert werden. Europa muss dafür dem Internet die Aufmerksamkeit widmen, die seiner Bedeutung gerecht wird. Dafür haben wir schon jetzt gute Voraussetzungen, da sich in Europa noch keine monopolisierenden Digitalkonzerne gebildet haben und die EU ausländischen Internetgiganten konsequent zur Einhaltung europäischer Richtlinien zwingt. Damit schützt die EU die Rechte ihrer Bürger auch im Internet und ist somit wesentlich fortschrittlicher als die USA. Europa könnte, und sollte also eine neue, demokratischere und sichere Art des Internets, neben der von Internetgiganten kontrollierten amerikanischen und der der totalen staatlichen Zensur unterworfenen chinesischen Netzwelt etablieren.

Die EU ist im Bereich der Datensicherheit und des Datenschutzes schon jetzt weltweiter Vorreiter, nur nützen die strengsten Gesetze nichts, wenn sie nicht durchgesetzt werden. Darum braucht die EU eine gemeinsame Behörde die es personell und finanziell sowie von ihren rechtlichen Möglichkeiten her mit den Internetgiganten aufnehmen kann und die Rechte der europäischen Internetnutzer verteidigt.

Das eigentliche Ziel wäre es aber, dass sich die EU zu einer digitalen Plattform entwickelt und sich, dem estnischen Modell „X-Road“ folgend zu einer Art digitalen Demokratie entwickelt. In einer solchen hätte jeder Bürger eine digitale Identität, womit zum Beispiel Geschäfte noch einfacher über das Netz abgewickelt werden könnten und die Möglichkeit bestünde, Verträge digital abzuschließen. Das gesamte Steuersystem könnte über eine App und eBanking abgewickelt werden, genau wie jeder Strafzettel oder sonstige Behördeninteraktion. Das Konzept ermöglicht vor allem einen sicheren, schnellen und geordneten Datentransfer zwischen verschiedenen staatlichen Behörden von nur genau den Daten, die benötigt werden. Mit einem X-Road-Konzept könnte die oft als „Bürokratiemonster“ bezeichnete EU zu einer digitalen Demokratieplattform mit schlankem Staat und sicherer Netzstruktur werden.

Das X-Road Konzept nach estnischem Vorbild ermöglicht durch die Einrichtung eines voll digitalisierten Verwaltungsapparats eine viel einfachere Interaktion des Bürgers mit den staatlichen Institutionen. So sind fast alle Datenbänke digital, wodurch der Austausch von Information zwischen den Ämtern in Sekundenschnelle und ohne aufwändigen Papierkram vonstatten geht. Dabei sind die Datenbanken allerdings unabhängig von einander und tauschen nur die gesetzlich vorgegebenen Informationen aus. Unter Verwendung des “only once Prinzips” müssen die Bürger Informationen außerdem nur einmal in das System eingeben, das vereinfacht die Behördeninteraktion zusätzlich. Außerdem kann jeder Bürger seine Daten und die zugriffsberechtigten Institutionen online einsehen und verwalten, ebenso werden langwierige behördliche Prozesse erheblich beschleunigt. So informiert das Krankenhaus nach der Geburt eines Kindes das Melderegister, ebenso wie die die Daten direkt in die Planung der zukünftigen Schulkapazität einfließen und den Eltern vom ersten Tag an, ohne Bürokratie, das Kindergeld überwiesen wird. Dadurch können sich die staatlichen Institutionen besser um die Bürger kümmern und für diese fällt ein Großteil des bürokratischen Aufwands weg. Das heißt zum ersten Bürokratieabbau, da diese wesentlich effizienter vonstatten werden kann, und zweitens das funktionieren eines effizienten Staates im Hintergrund ohne die dann unnötigen Gänge zum Amt.

Durch ein europaweites System wäre auch die freie Bewegung von EU-Bürgern wesentlich unkomplizierter, z.B. ließen sich die Behördengänge bei Umzügen auch über EU-Grenzen auf ein Minimum reduzieren. Dieser gerade beschriebene Datenaustausch klingt vielleicht etwas beängstigend, gerade weil uns immer gesagt wird, dass wir auf unsere Daten aufpassen müssen – was natürlich richtig ist. Aber solche Datentransfers sind unabdingbar für einen funktionierenden Staat und geschehen heute bereits so, nur analog. Durch eine Digitalisierung könnte hier Vieles für alle Beteiligten vereinfacht werden und Kosten und Zeit gespart werden.

Wie gerade angesprochen ist auch der Sicherheitsaspekt zu beachten: Solche sensible Daten dürfen auf keinen Fall in die falschen Hände geraten. Deshalb sind zum Beispiel in Estland die einzelnen elektronischen Datenbanken nicht nur gegen Angriffe geschützt, sondern auch entkoppelt. Die Kommunikation zwischen den Datenbanken findet nur verschlüsselt und geschützt statt. Damit kann sich Malware, wenn sie einen Teil des geschützten Systems befällt, nicht ausbreiten und schnell bekämpft werden. Aber nicht nur der Sicherheitsaspekt im Bezug auf Datenklau oder die Abschaltung wichtiger Behörden ist zu beachten. Es herrscht auch viel Skepsis gegenüber staatlicher Überwachung und ein großes Misstrauen staatlichen Behörden gegenüber. Bei europäischen Institutionen wäre dieses Misstrauen wahrscheinlich besonders stark.

Wir müssen uns also als Gesellschaft dahingehend die Frage stellen, wem wir mehr vertrauen. Unserem Staat oder den amerikanischen Internetunternehmen. Bei staatlichem Handeln im Netz muss es klare Gesetze ohne Lücken geben, die die Rechte eines jeden Bürgers sichern, wozu auch der Schutz vor Verbrechen im virtuellen Raum gehört. Staatliche Intervention bringt immer ein Risiko mit sich. Nur unsere Fixierung darauf ermöglicht es den Tech-Giganten quasi alles mit den Daten ihrer User machen zu können und diese sogar freiwillig zur Verfügung gestellt zu bekommen. Solange das Silicon Valley noch seine Weltverbesserungs-Agenda fährt, gibt es nur wenig Widerstand gegen dessen Daten-Sammel-Wut. Wenn aber von staatlicher Seite und demokratisch legitimiert etwas unternommen wird, werden sogleich die Stasi-Vergleiche ausgepackt und den Verantwortlichen um die Ohren gehauen. Persönliche Daten und ihre Sicherheit sind ein weitläufiges und hochsensibles Themenfeld, aber ich persönlich würde meine Daten wesentlich lieber beim Landratsamt meines Landkreises gespeichert wissen als im Sillicon Valley.

Dabei muss vor allem unterschieden werden welche Daten gespeichert werden. Denn während bei der Digitalisierung unseres Staatsapparates und der EU Daten, die jetzt schon analog gespeichert sind, digitalisiert und damit einfacher abrufbar gemacht werden würden, speichern Google, Facebook oder Amazon genaue persönliche Daten über das Verhalten, politische Ansichten und jegliche andere digitale Spuren. Damit lassen wir uns von diesen Datenkraken so eng überwachen, wie ein Geheimdienst einen Terrorverdächtigen überwachen würde, und das auch noch freiwillig. Bei X-Road werden keine Daten mit solch einer manipulativen Macht gespeichert.

Die Behörden würden eigentlich nur das wissen, was sie heute auch schon wissen, nur digitalisiert. Also Dinge wie Schulabschluss, Steuerklasse, Krankenkasse, Nummernschild oder Arbeitsverhältnis, während auf der anderen Seite Facebook unsere politische Meinung kennt, Amazon es geschafft hat, dass wir uns mit Echo und Alexa freiwillig eine Wanze ins Zimmer gestellt haben, durch die der Konzern ihr Verhalten und ihre Stimme kennt und Google uns sowieso in und auswendig kennt. Deshalb muss sich die EU aufmachen, um ihre Bürger auch in der digitalen Welt zu beschützen und ihnen bestmöglich zu dienen. Um diese Ziele allerdings in die Tat umzusetzen, muss erst einmal eine einheitliche Gesetzeslage geschaffen werden und das Internet mit seinen Risiken und Chancen in Brüssel mit angemessener Beachtung behandelt werden.

Quellen und weiterführende Links:
Erklärvideo zum X-Road Konzept (Englisch)
Webseite von e-Estonia über X-Road (Englisch)

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