„Alles gut“ – eine kleine Analyse unserer Gesellschaft Ein Gastbeitrag von Amy Holbach

Alles gut. Die kurze Floskel, die man seit einiger Zeit beinah täglich zu Ohren bekommt. Von Kindern,
Jugendlichen, Erwachsenen, Rentnerinnen und Rentnern. Bei jeder und jedem scheint – fast schon
verdächtig – oft „alles gut“ zu sein. Eigene Befindlichkeit gut, Familie gut, Freunde gut, Job gut,
Finanzen gut, Miete gut, Wetter gut, Hauskatze gut, Zimmerpflanze gut. Alles gut. Tatsächlich? Politik
gut, Klimawandel gut, Weltfrieden gut. Leben wir denn nicht in einer Zeit, in der eben
nicht alles gut
ist? Wollen wir vielleicht gerade deshalb Ausdrücke wie diesen hören und verbreiten? Weil sich unsere
Welt in vielerlei Hinsichten vom „Alles gut“-Zustand zu entfernen droht?
Meistens werden diese beiden Worte gesprochen, nachdem sich jemand für einen mehr oder weniger
harmlosen Fehler entschuldigt hat oder wenn jemand auf ein alltägliches Dankeschön reagieren
möchte. „Sorry, ich hab den Bus verpasst und bin erst in einer halben Stunde in der Stadt.“ „Macht
nichts, alles gut. Kannst du dann einfach direkt zu mir nach Hause kommen?“ „Ja klar.“ „Danke!“
„Alles gut.“
Mir stellen sich da einige Fragen: Kann überhaupt alles gut sein? Was schließt dieses „Alles“ eigentlich
mit ein? Etwa alles vom kleinsten Partikel bis zum ganzen Universum? Und was ist mit dem „Nichts“?
Gehört das auch zu „Allem“? Beschränken wir uns in dem Fall besser auf das, mit was wir Menschen
in unserem Leben häufiger und bewusster zu tun haben. Das bedeutet ein „Alles“, das hauptsächlich
diesen Planeten betrifft. Aber ist selbst das nicht ein bisschen viel verlangt, dass ausnahmslos
alles auf
diesem Planten in bester Ordnung ist? Wobei – „gut“ bedeutet ja nicht gleich perfekt. Laut Duden gibt
es für das Wort „gut“ mehrere Definitionen. Ist etwas gut, dann ist es beispielsweise ausreichend,
passend, erfreulich. Aber durchaus auch einwandfrei – also doch perfekt und in bester Ordnung? Ja und
nein. Hier gilt wie sooft: Der Begriff ist dehnbar und – je nach persönlichen Maßstab – vielseitig
einsetzbar. Die Einen bezeichnen eine funktionierende Kaffeemaschine aus dem letzten Jahrhundert
schon als gut und zögern gar nicht erst mit dem Kauf, während bei den Anderen der allmorgendliche
Wachmacher von idealem Geschmack und höchster Qualität sein muss, damit von „gut“ überhaupt erst
mal die Rede sein und anschließend überlegt werden kann, ob möglicherweise eine Anschaffung vor
der nächsten Eiszeit in Erwägung gezogen wird.
Es ist also individuell unterschiedlich, was wir als „gut“ wahrnehmen und in welchem Grad wir das
tun. Genauso verhält es dich mit dem Wort „Alles“. Doch nicht mal ein ausgesprochen hartnäckiger
Optimist kann mir erzählen, dass auf dieser Welt für ihn ausnahmslos
alles zufriedenstellend ist. Klar,
das Argument „Schlimmer geht immer“ ist gut. Gut, haha. Allerdings geht es auch immer noch besser.
Soll heißen: Alles ist besser als schlimmer, aber schlimmer als besser. Für den Moment also okay?
Gut?
Vielleicht.
Falls ja, sollten wir uns damit jedoch nicht zufriedengeben. Wir können das „Besser als Schlimmer“ als
Grundlage nehmen und „Besser als Gut“ zu unserem Ziel erklären. Es soll mir, meiner Familie und
meinen Mitmenschen nicht nur „für den Moment“ gutgehen, mein Job soll nicht bloß jetzt gerade
erträglich sein, und meine Zimmerpflanze soll nicht lediglich in dieser Sekunde hübsch gedeihen. Der
Weltfrieden ist nicht „besser“, nur weil die unzähligen Kriege und Konflikte heute ein Opfer weniger
gefordert haben als sonst. Morgen können es wieder hunderte mehr sein.
Ob wir der Meinung sind, alles sei gut oder nicht, hängt also über die Maßen von unserer derzeitigen
Situation ab. Die meisten Menschen äußern mit dieser Floskel höchstwahrscheinlich nicht mal ihre

Meinung. Wenn ich mich bei einer wildfremden Person bedanke, die mir meine heruntergefallenen
Zwei-Cent-Münze reicht, und sie mit einem lächelnden „Alles gut“ abwinkt, meinte sie ja wohl nicht
„Hauskatze und Klimawandel gut“, oder? Sie meint eher so was wie „Keine Ursache“ oder „Nicht der
Rede wert“. Das sie es trotzdem sagt, muss ein allgemeiner Tick unserer Gesellschaft sein, bei dem wir
nicht ganz wörtlich nehmen, was wir da von uns geben. Wie kam es zu diesem Mechanismus, der sich
so schnell in der breiten Masse festsetzen konnte? Warum machen wir uns etwas vor? Manchmal
scheint es fast, als wollten wir die Phrase so lange wiederholen, bis wir tatsächlich daran glauben,
damit wir uns nicht weiter für die Wirklichkeit rechtfertigen müssen. Das mag ja für den Moment
klappen, ist aber längerfristig keine Lösung. Nichtsdestotrotz scheint dem Großteil der Menschen
derzeit klar zu sein, dass heutzutage wahrlich nicht alles gut ist und vermutlich auch nicht so schnell
werden wird.
Umso wichtiger also, dass wir versuchen, das, was eine Vielzahl von uns tagein tagaus von sich gibt,
als ernsten Vorsatz zu nehmen: Nämlich, daran zu arbeiten, die Welt zu einem besseren Ort zu machen,
egal wie abgegriffen diese Redensart klingen mag. Dass wir uns vom „Schlimmer geht immer“-Denken
losreißen und mittels kleiner Besserungen über „ausreichend“, „passend“ und „erfreulich“ vielleicht
sogar zu „einwandfrei“ gelangen. Welche Stufe von „gut“ wir somit letztlich erreichen können bleibt
ungewiss. Ebenso, was genau wir uns unter
Allem vorzustellen haben. Aber unser Ziel sollte stets das
mehrheitlich als „das Gute“ bezeichnete für so Vieles wie möglich sein. Und wie sagt man doch so
schön, „Ende gut, alles gut“, nicht wahr?

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