Brexit-Chaos kurz vor Schluss Der Abstimmungsmarathons der letzten Woche und daraus resultierende Brexit-Szenarien

Bildquelle: www.pixabay.com / Tumisu

Gut zwei Wochen vor dem geplanten EU-Austritt Großbritannien am 29. März sind die Brexit-Verhandlungen in die heiße Phase gegangen. So erfolgten in der zurückliegenden Woche gleich drei bedeutende Abstimmungen im britischen Parlament. Obwohl keines der drei Ergebnisse wirklich eine Überraschung bot, ist die Situation unübersichtlicher denn je. Gleich zwei Niederlagen zeigen wie wenig Akzeptanz Premierministerin May selbst in ihren eigenen Reihen hat. Am Ende dieser ereignisreichen Woche ist klar: Für ein allgemeines Brexit-Chaos ist schon ohne einen No-Deal-Brexit gesorgt.

 

Mays Brexit-Deal fällt zum zweiten Mal durch

Bereits im Januar wurde Mays erster Brexit-Deal mit der größten Mehrheit in der Geschichte des Parlaments (432 Noes zu 202 Ayes) abgelehnt. Die Premierministerin hatte daraufhin angekündigt, das Abkommen mit der EU erneut zu verhandeln, um dann letzte Woche am 13. März über den leicht veränderten Deal abstimmen zulassen. Trotz einiger weniger Zugeständnisse, die die EU May noch am Tag vor der Abstimmung eingeräumt hatte, votierte wieder eine eindeutige, wenn auch geringere Mehrheit im britischen Unterhaus gegen das Abkommen. Die erneute Niederlage Mays war schon vorher abzusehen, denn das Schriftstück sieht noch immer eine Mischung aus einem Soft- und einem Hard-Brexit vor und ist somit bei Brexit-Hardlinern und Brexit-Gegnern gleichermaßen unbeliebt.

Knackpunkt ist vor allem die nordirische Grenze mit der Republik Irland, die nach dem Austritt Großbritanniens EU-Außengrenze wird. Das wird den Waren- und Personenverkehr zudem massiv erschweren und könnte alte Konflikte zwischen Irland und Nordirland wieder aufflammen lassen. Als Übergangslösung und Absicherung hat sich May deshalb auf eigenen Vorschlag hin mit der EU auf den sogenannten Backstop geeinigt, durch den Nordirland bis auf weiteres im europäischen Binnenmarkt verbleiben würde und Großbritannien in der Zollunion der EU. Zollkontrollen an der nordirischen Grenze würden vermieden und ein freier Personenverkehr gewährleistet werden.

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Als Mitglied der Zollunion würde Großbritannien weiter zumindest einem Teil der europäischen Handelsregularien unterliegen. Viele Brexit-Befürworter sehen das als Hindernis für die wirtschaftliche Souveränität Großbritanniens an, die May unteranderem durch Verlassen des EU-Binnenmarktes erreichen wollte, und befürchten, durch den Backstop dauerhaft oder noch zu lange an die EU gebunden zu sein. Für die irische Grenze pochen die Brexit-Hardliner auf neue Technologien, die jegliche physische Kontrollen an der Grenze überflüssig machen würden, zurzeit so aber noch nicht existieren oder nicht für den massenhaften Gebrauch geeignet sind.

Um die Kritiker des Backstops zu besänftigen und der immer größer werdenden Gefahr eines No-Deal-Brexit entgegenzuwirken handelten May und die EU noch am Tag vor der zweiten Abstimmung über den Entwurf einige Änderungen aus, mit denen der europäische Verhandlungspartner ein Stück weit auf die Premierministerin zu kommt. So soll das Vereinigte Königreich nach eigenem Ermessen aus dem Backstop aussteigen und für den Fall, dass die EU in den künftigen Beziehungen nicht ausreichend kooperiert, ein Schiedsgericht anrufen können. Diese Zugeständnisse konnten nur wenige Kritiker des Backstops überzeugen und wurden auch auf europäischer Seite von vielen als „Mogelpackung“ aufgefasst, zumal die oberste Instanz bei juristischen Fragen in Europa immer noch der Europäische Gerichtshof ist. Dementsprechend fiel das Votum im britischen Unterhaus am 13. März eindeutig gegen den Deal aus.

 

Kein No-Deal-Brexit – unter allen Umständen

Die verbleibenden Möglichkeiten für Großbritannien waren also, die EU am 29. März ohne Abkommen zu verlassen oder in eine neue Verhandlungsrunde mit der EU zu gehen und dafür zunächst eine Verschiebung des Austrittsdatums beim europäischen Verhandlungspartner zu beantragen. Am 14. März stimmte das britische Parlament zunächst darüber ab, einen Austritt ohne Abkommen am 29. März auszuschließen. Aufgrund der Schwere der Entscheidung, die ihre Abgeordneten treffen mussten, hatte May den Fraktionszwang zunächst aufgehoben, machte dies jedoch rückgängig, nachdem ein Erweiterungsantrag der Tory-Abgeordneten Spelman in die Abstimmung einbezogen wurde. Das „Amendment“ sah vor, die Motion zu ergänzen und einen No-Deal-Brexit unter allen Umständen auszuschließen. Mit einer knappen Mehrheit von vier Stimmen nahm das Unterhaus den Antrag an.

Eine weitere Niederlage für die Premierministerin, die zwar einen No-Deal kategorisch ablehnt, diesen allerdings als Druckmittel braucht, um die Mehrheit der Abgeordneten im Angesicht eines erneut drohenden No-Deal-Brexits nach Verschiebung des Austrittstermins auf nach dem 29. März von ihrem Brexit-Deal zu überzeugen.

 

Planlos in die Verlängerung

Die dritte und letzte Abstimmung im Britischen Unterhaus drehte sich am vorigen Donnerstag um die Beantragung einer Verlängerung des Artikels 50 bei der EU und damit einer Verschiebung des Austrittstermins. Während eine Mehrheit für diesen Antrag im Unterhaus als gesichert galt, sorgten einige zusätzliche Anträge von Abgeordneten für Aufsehen. Eines der beiden „Amendments“ schlug ein weiteres Referendum vor, das andere die Übernahme der Kontrolle über die parlamentarische Tagesordnung durch das Parlament, die eigentlich verfassungsgemäß bei der Regierung liegt. Die Rolle der Premierministerin in den Brexit-Verhandlungen wäre in diesem Fall zu der einer Vermittlerin zwischen dem Unterhaus und der EU reduziert worden.

Während ein zweites Referendum eindeutige Ablehnung fand, verfehlte der zweite Ergänzungsantrag die Mehrheit nur um drei Stimmen. Der Beantragung einer Verlängerung des Artikels 50 bei der EU wurde wie erwartet stattgegeben. Uneinigkeit herrschte allerdings über die Dauer der Verlängerung.

Der Beschluss des Unterhauses sieht deshalb vor, eine Verlängerung von drei Monaten bei der EU zu beantragen für den Fall, dass sich bei einer erneuten Abstimmung am 20. März eine Mehrheit für May´s Brexit-Deal findet. Andernfalls muss eine wesentlich längere Frist beantragt werden, die allerdings mit der Teilnahme Großbritanniens an der Europawahl im Mai und etwaige Neuwahlen im UK verbunden wäre.

Mögliche Szenarien im Verlaufsschema (Stand: 16. März)

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Die tatsächliche Entscheidung über eine Verlängerung liegt nun allerdings bei den 27 verbleibenden EU-Staaten. Von ihrer Zustimmung ist grundsätzlich auszugehen, wäre doch im Fall eines erneuten Scheiterns von May´s Brexit-Deal am Mittwoch ein No-Deal-Brexit unabwendbar. Dennoch gibt es Gerüchte einer Absprache zwischen No-Deal-Befürwortern und der rechtspopulistischen Regierung in Italien, die sich wohl gegen die Brexit-Verlängerung stellen könnte. Selbst wenn alle EU-Staaten zustimmen sollten, wird London eine Rechtfertigung für die Verlängerung vorlegen müssen, denn auch die EU hat kein Interesse an einer Teilnahme des UKs an der Europawahl.

Vor diesem Hintergrund wäre auch eine Einigung des Britischen Unterhauses ratsam. Die zahlreichen Brexit-Hardliners könnten am Mittwoch kaum gesichtswahrend erneut gegen das ausgehandelte Brexit-Abkommen stimmen und dabei eine von ihnen vor der Britischen Bevölkerung verteufelte längere Bindung an die EU durch die Europawahlen in Kauf nehmen. May könnte den Abgeordneten am Mittwoch entgegenkommen und im Gegenzug für die Zustimmung zu ihren Brexit-Deal ihren Rücktritt anbieten. Damit könnte sie nicht nur die Wogen in der EU und auf der Insel glätten, sondern das Brexit-Chaos beenden – zumindest vorerst.

 


Update 18.03 | 17 Uhr

Der Vorsitzende des Unterhauses John Bercow hat angekündigt, eine erneute Abstimmung über May´s Brexit Deal ohne weitere Zugeständnisse von der EU nicht zuzulassen. Die EU wiederum ist nicht bereit, Großbritannien weitere Zugeständnisse einzuräumen, hat allerdings zugesichert, einen Antrag Großbritanniens auf eine Fristverlängerung noch bis unmittelbar vor dem 29. März zugestatten. Die dritte Abstimmung über May´s Deal am 20. März wird also vorerst verschoben.

Mehr Informationen hierzu und aktuellen Entwicklungen rund um den Brexit gibt es in unserem >> Brexit Briefing <<

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