Angriff, die beste Verteidigung? Kramp-Karrenbauers Strategiewechsel und seine Konsequenzen

Berlin, Paul-Löbe-Haus, 24.07.2019, vormittags
Die Verteidigungsministerin legt ihren Amtseid vor dem provisorischen Bundestag ab – die Neue

Der Schleudersitz Verteidigungsministerium hat seine erste Frau ausgeworfen, und zwar nach Brüssel. Und schon steht die nächste bereit, diesmal aber mit einem anderen Ziel: dem Kanzleramt.

Mit dem nicht unumstrittenen Wechsel Ursula von der Leyens an die Spitze der EU Kommission und ihrem folgenden Rücktritt als Verteidigungsministerium ohne designierten Nachfolger hatte sich in den Augen vieler Beobachter eine größere Kabinettsumbildung angebahnt, doch Kanzlerin und CDU Chefin haben alle überrascht. Oft war gemunkelt worden, Jens Spahn solle das Bundesministerium der Verteidigung übernehmen. Dort hätte sich der ambitionierte und Merkel-kritische Gesundheitsminister beweisen können, dann hätte man die Integrationsbeauftrage des Bundes, Anette Widmann-Mauz als Gesundheitsministerin einsetzen können und Kramp-Karrenbauer wäre bei ihrem Wort geblieben, sich nur auf die Partei konzentrieren zu wollen und kein Regierungsamt anzustreben. Doch irgendwann nach der Europawahl und dem Rezo-Debakel muss AKK, unbemerkt von der Öffentlichkeit und der Führungsriege der Union, ihre Strategie der strategischen Zurückhaltung und der Profilierung als Vorsitzende über den Haufen geworfen haben und sich für die Flucht nach Vorn entschieden haben. Ob dieser Schritt klug war, muss sich zeigen, aber eines war er auf jeden Fall: mutig.
Angriff als Verteidigung also, dafür ist Kramp-Karrenbauer ja auch bekannt und das unterscheidet sie auch von der so stabilitätsversessenen Kanzlerin: AKK nimmt oft politische Risiken auf sich, sei es bei ihrem Wechsel nach Berlin oder der Kandidatur für die Parteispitze, und bisher ist für sie ja auch alles gut gegangen. Doch ob das so bleibt und ihre Aussichten auf das Kanzleramt erhöht?
Es gibt mehrere mögliche Szenarien…

Szenario eins, das Best-Case-Szenario für AKK:
Kramp-Karrenbauer schafft es, das pannengeplagte Verteidigungsministerium unter Kontrolle zu bekommen, die Worthülsen ihrer Vorgängerin sichtbar umzusetzen und keine neuen Negativschlagzeilen zu produzieren. Dann hätte sie bundespolitische Kompetenz bewiesen, ihre innerparteilichen Kritiker zum Schweigen gebracht und sich einen deutlichen Amtsbonus gegen mögliche grüne Herausforderer im Rennen um die Kanzlerschaft gesichert. Doch die Wahrscheinlichkeit dieses Szenarios? Sehr gering.
Die Bundeswehr ist meisterhaft darin, Negativschlagzeilen zu produzieren. Ob rechtsextreme Umtriebe, nicht schwimmende Segel- und andere Kriegsschiffe, Verdopplungen der Preise von Panzern und anderem Großgerät, Berateraffären oder jede andere Meldung von Sexismus bis hin zu undichten Kasernendächern, alles wird im Endeffekt an der zuständigen Ministerin hängen bleiben. Ob die schönen und öffentlichkeitswirksamen Bilder von Auslandsreisen und die Reden im Bundestag das aufwiegen, mag dahingestellt sein.

Szenario zwei, das wahrscheinlichste Szenario:
AKK schafft es nicht, die Negativschlagzeilen unter Kontrolle zu bekommen, leistet sich aber auch keine Ausrutscher. Dann wird sie, zwar mit Kritik aus der “WerteUnion”, zur Kanzlerkandidatin von CDU und CSU gewählt und muss gegen eine/n grüne/n Kanzlerkandidat/in  in vorgezogenen Neuwahlen antreten. Dann bestünde die Möglichkeit, dass sich die CDU gegen die Grünen als stärkste Kraft behaupten können könnte. Die folgenden Machtoptionen wären aber vielfältig, von Schwarz-Grün über eine Ampelkoalition aus Grünen, SPD und FDP hin zu Grün-Rot-Rot.

Szenario drei, Worst-Case für AKK:
Kramp-Karrenbauer schafft es nicht, als Verteidigungsministerin eine einigermaßen gute Figur zu machen und leistet sich wieder kommunikative Patzer, aber die Union nominiert sie dennoch als Kanzlerkandidatin. Dann fiele im Wahlkampf der nicht zu unterschätzende Merkel-Bonus weg und Kramp-Karrenbauer könnte nicht davon profitieren. Gegen einen charismatischen Herausforderer, wie es Robert Habeck wäre, sähe AKK blass aus, wenn sie dann auch noch keine Ergebnisse vorzuweisen hätte, wird die Wahl definitiv nicht zugunsten AKKs ausgehen.
Dieses Szenario setzt allerdings voraus, dass die Partei hinter ihrer Vorsitzenden steht, sollte das nicht der Fall sein, könnte sich ein Desaster für die einzig verbliebene Volkspartei anbahnen.

Szenario vier, der absolute Worst-Case für die gesamte Union:
AKK wird nach einer miserablen Bilanz im Verteidigungsministerium nicht als Kanzlerkandidatin aufgestellt. In einem solchen Szenario hätten ihre Gegner also genug Stimmen zusammen bekommen um jemanden anderen zu nominieren. Das wäre ein indirektes Misstrauensvotum, ein Bruch mit den Traditionen und wahrscheinlich eine krachende Niederlage für die CDU. Denn ein solcher Putsch könnte nur aus dem konservativeren und rechten Teil der CDU kommen, dass die Linie derer, denen man so einen Schritt zutrauen würde, aber nicht in Wahlen funktioniert, dürfte seit der Bayernwahl auch dem letzten klar geworden sein. Die Union schöpft ihre Kraft aus ihrer Macht und ihrem Anspruch darauf, sowie aus der Kontinuität und Stabilität, die sie verspricht. Ein Putsch vor einer Wahl entspricht dem definitiv nicht.

Angesichts der Gemütslage der SPD und der anstehenden Wahl der Parteivorsitzenden, welche zum Großteil eine Fortsetzung der Regierungskoalition ablehnen, ist der Fortbestand der GroKo nicht gerade wahrscheinlich.  Deshalb ist die Wahrscheinlichkeit, eine gute Bilanz bei möglichen Neuwahlen vorweisen zu können quasi null, Negativschlagzeilen dagegen gehen immer.
Kramp-Karrenbauer hat hoch gepokert und ist großes Risiko eingegangen, ob sich ihr Einsatz auszahlt darf aber stark bezweifelt werden. Doch nicht nur für sie selbst, auch für CDU und CSU steht viel auf dem Spiel

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