Deutschland, einig Merkel-land?

Seit nun mehr einer Woche hat die CDU eine neue Vorsitzende. Mit Annegret Kramp-Karrenbauer, dem Namens-Albtraum aller ausländischen Reporter, wurde auf dem 31. Bundesparteitag der CDU nicht nur erneut eine Frau, sondern auch die Wunschkandidatin Merkels an die Spitze der Christdemokraten gewählt. In einem ungewöhnlich spannenden Rennen um den Parteivorsitz entschied Kramp-Karrenbauer die Wahl – man könnte es regelrecht als Kampf bezeichnen – für sich.

Generell war dieser Bundesparteitag überaus ungewöhnlich. Wie sollte es auch anders sein, denn nach fast zwei Dekaden politischer Konstante an der Führungsspitze und neun Vorsitzenden-Wahlen, bei denen Merkel fast durchgängig über 90 Prozent Zustimmung erreichte, ist das Gefühl, tatsächlich eine Wahl zu haben für viele Delegierte gänzlich neu oder zumindest vergessen. Auch Merkels letztes Motto für einen Parteitag „Zusammenführen. Und zusammen führen“ war nicht nur ungewöhnlich geistreich, sondern ebenso ungewöhnlich wie das erste Motto „Zur Sache“, das Angela Merkel 2000 als frisch gewählte Parteivorsitzende auswählte. Man könnte beide auch als „typisch Merkel“ bezeichnen, wie auch die Kanzlerin selbst fand.

Dabei schien Merkels Abschiedsrede zunächst gar nicht „typisch Merkel“ zu sein. Fast emotional und gar mit einer gewissen Selbstironie blickte Merkel auf ihre 18 Jahre als Vorsitzende der CDU und 13 Jahre als Bundeskanzlerin zurück. Doch eigentlich ist die Rede so viel mehr „typisch Merkel“ als die Reden in den fast 20 Jahren davor. Merkel war nie eine große Rednerin, sie hatte nie das Charisma ihrer Vorgänger. Und so kommt in ihrer letzten Rede als Parteivorsitzende das zum Ausdruck, was sie als Politikerin, als Bundeskanzlerin, als – wie sie die Amerikaner gerne sehen – Europas de facto Anführerin ausmacht und auszeichnet: Ruhe, Besonnenheit, Sachlichkeit. Sie nimmt sich selbst zurück und stellt die Sache ins Zentrum. „Zur Sache“ eben. Ein Charakterzug, der ihr auch ihren Ruf als gute Politikerin und Anführerin der freien Welt eingebracht hat. Ein Charakterzug, den vor allem die Amerikaner hinsichtlich ihrer weniger den Fakten zugeneigten Politiker schätzen.

Dass Merkel ein Macht-Vakuum hinterlassen hat und wird, zeigte sich also schon auf dem Bundesparteitag. Merkel hat Deutschland zu dem gemacht, was es heute ist. Im Guten, wie im Schlechten. Die New York Times titelt dazu: „Es kommt nicht darauf an, wer Merkel ersetzt. Deutschland ist am Ende“. Trotz der niedrigsten Arbeitslosenzahlen seit der Wende und einer der stärksten Wirtschaften weltweit, so ist Deutschland womöglich gerade jetzt tiefer gespalten als je zuvor. Finanziell durch eine immer größer werdende Schere zwischen Arm und Reich und gesellschaftlich durch Polarisierung und neu erstarkenden politischen Extremismus. Deutschlands Umweltbilanz ist katastrophal und die so umständlich formulierten Klimaschutzziele etlicher Klimakonferenzen werden krachend verfehlt. Auch diese Probleme gehören zur Ära Merkel. Sie sind trotz oder vermutlich sogar gerade wegen der Ruhe und Besonnenheit Merkels entstanden. „Typisch Merkel“ heißt eben auch Füße still halten und politischer Stillstand.

 Es sind große Fußstapfen, in die neue CDU-Vorsitzende treten wird und muss. Die entscheidende Frage der nächsten Monate oder gar Jahr wird also sein, ob es AKK gelingen wird die tiefgespaltenen Christdemokraten, die sich so gerne als „Partei der Mitte“ bezeichnen, zu einen und die weitoffene rechte Flanke der Partei zu schließen. Im Gegensatz zu einigen ihrer Kabinettsmitglieder hat Merkel erkannt, dass es nicht mehr an ihr ist, diese Aufgaben zu bewältigen. Sie habe sich immergewünscht und vorgenommen, ihre staatspolitischen und parteipolitischen Ämter in Würde zu tragen und sie auch in Würde zu verlassen, bekräftigt die sichtlich bewegte Bundekanzlerin am Ende ihrer letzten Rede als Parteivorsitzende. Fast wehmütig in die Reihen der Delegierten blickend, schließt sie ein letztes Mal ihr schwarzes Buch und geht ruhig, ja sogar leichtfüßig, als wäre eine Last von ihr abgefallen, zu ihrem Platz im Tagungspräsidium zurück. In puncto Rücktritt ist Merkel das gelungen, was kaum einer ihrer männlichen Amtsvorgänger vermochte: Die Würde im Amt zu wahren bis ganz zum Schluss. Ruhe und Besonnenheit, bis zum Schluss. Eben „typisch Merkel“.

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