Die Demokratie, sie lebt! Kommentar

„Something is rotten in the state of…“ Bavaria – Dass man das berühmte Shakespeare-Zitat auch auf Bayern anwenden könnte, bestätigten am 22. Juli nicht weniger als 25.000 Menschen, die in der bayerischen Landeshauptstadt unter dem Motto „#ausgehetzt“ gegen die „Politik der Angst“ der CSU demonstrierten. Schon im Mai waren Zehntausende im ganzen Bundesland gegen das geplante Polizeiaufgabengesetz auf die Straße gegangen. Es kam einer Revolution gleich. Nach über 70 Jahren CSU-Herrschaft im größten deutschen Bundesland scheint sich dieses nun endlich aus dem Würgegriff der Partei zu befreien. Nach jahrzehntelanger Einöde in der Parteienlandschaft Bayerns gibt es für die liberaleren Parteien Licht am Ende des Tunnels.

Dass die jüngsten Ereignisse durchaus Wirkung erzielten, zeigt exemplarisch der desaströse Sturzflug der CSU in den Umfragen knapp drei Monate vor der Landtagswahl, der dem der SPD in den letzten Jahren in nichts nachsteht. Die Konservativen würden nicht nur ihre absolute Mehrheit verlieren, sondern die Partei auch erstmals seit über 50 Jahren unter 40 Prozent rutschen. Die Situation der CSU könnte nicht besser widergespiegelt werden als durch die Reaktion ihrer führenden Politiker auf die „#ausgehetzt“-Demonstrationen. Während die Parteiführung – Seehofer, Söder, Dobrindt – durch Schweigen glänzte, diskreditierten sich Funktionäre der zweiten Reihe mit dem Versuch, die Demonstrationen ins Lächerliche zu ziehen, quasi selbst. So bekam Bayerns Ex-Kultusminister Ludwig Spaenle für einige gedichtete Verse auf Facebook, in denen er die Demonstranten als sich „moralisch überlegen wähnende, verirrte Blumenmädchen“ bezeichnete, reichlich Gegenwind und löschte die Verse nach wenigen Stunden wieder. Auch die „gegen die Hetzkampagne gegen die CSU“ (Generalsekretär Markus Blume) am Münchner Königsplatz aufgestellten Kleinwagen, auf denen sich die CSU wie so oft als Opfer linker Hetze inszenierte, zeichneten ein eher fragwürdiges Bild der CSU-Landesregierung.

Ein direkter Vergleich wäre an dieser Stelle übertrieben, jedoch ähneln diese Methoden – sich als Opfer linker Hetze zu inszenieren, Demonstranten zu deskreditieren, polizeiliche Befugnisse auszuweiten – denen der osteuropäischen Autokraten, in deren Gesellschaft der CSU-Parteivorsitzende so gerne verkehrt. Warum aber diese Methoden? Die Süddeutsche Zeitung betitelt passend: „Die CSU hat Angst“. Und in der Tat, das hat sie. Sie hat Verlustängste, so wie viele derer, die sie durch Rechtspopulismus für sich zu gewinnen sucht. Nur fürchtet sie das zu verlieren, was sie seit mehr als 60 Jahren okkupiert und an dem sie sich nun wie an einem Rettungsring festkrallt: Die Staatskanzlei.

Es wirkte wie ein Donnerschlag in der schläfrigen Bundesrepublik. Ein Erwachen in der Demokratie des betreuten Wählens. „#ausgesetzt“ hat gezeigt, dass die Demokratie in Deutschland alles andere als tot ist; dass Generation Y alles andere als politikverdrossen ist. Denn wie heißt es so passend im Film „V wie Vendetta“: „Ein Volk sollte keine Angst vor seiner Regierung haben, eine Regierung aber sollte Angst vor ihrem Volk haben.“ Das heißt: Die Demokratie lebt! – Zumindest in Bayern.

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