Wählen ab null? Wieso wir eine Debatte über das Jugendwahlrecht brauchen

Bild: via Pixabay

An vielen Freitagen gehen inzwischen Jugendliche überall auf der Welt auf die Straße, um für die Einhaltung der Ziele des Pariser Klimaabkommens zu demonstrieren. Greta Thunberg, die 16-jährige Klimaaktivistin aus Schweden, und andere bekommen zwar von vielen Politiker*innen Applaus und werden angehört, aber eine entscheidende politische Stimme haben Greta und die Millionen Teilnehmer*innen an den Fridays For Future nicht: das Wahlrecht.

1945 wurde das Wahlrecht in Deutschland von 20 auf 21 Jahre erhöht, nur um 25 Jahre später auf 18 Jahre gesenkt zu werden. Niedersachsen setzte 1995 das Wahlalter auf kommunaler Ebene auf 16 Jahre herunter. Bremen und Brandenburg erlauben es seit 2009 bzw. 2011 zudem, auf Landesebene ab 16 Jahren zu wählen. All diese Festlegungen erfolgten ohne konkrete Begründung.

Warum ist das so? Was macht Jugendliche in Brandenburg und Bremen mündiger als Jugendliche in Baden Württemberg? Und warum dürfen die ca. 2.3 Mio. Jugendlichen (Stand 2017) schlichtweg nicht über die Zukunft Deutschlands entscheiden?

Diese – und viele weitere – sind Fragen, die in der politischen Debatte viel zu leichtfertig abgetan werden. Ich sehe in der Frage der Wahlberechtigung von Jugendlichen allerdings eine wichtige Frage unserer Demokratie.

Wahlrecht für alle?

In Deutschland darf man mit 16 Jahren Mitglied in einer Partei werden. Davor kann man Mitglied in den Jugendorganisationen der Parteien werden. Ist also jemand vor dem 18. Lebensjahr politisch aktiv, sei es bei den Jugendorganisationen oder in Jugendparlamenten, darf er oder sie die eigenen Freunde in der Jugendorganisation oder Mutterpartei nicht unterstützen. Sind diese Jugendlichen nicht viel mehr an politischen Themen interessiert als viele Erwachsene?

Im Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD steht: “Unser Ziel ist ein inklusives Wahlrecht für alle”. Dieser Satz steht zwar unter dem Punkt “Teilhabe von Menschen mit Behinderung”, es ist aber trotzdem interessant, dass mit “alle” Jugendliche nicht gemeint sind. Betreute Menschen mit Behinderung sollen den Koalitionären zufolge eine politische Entscheidung treffen dürfen. Burkhard Lischka, innenpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im deutschen Bundestag, sagt dazu: „Wählen ist ein Grundrecht“. Gilt dieses Grundrecht nicht auch für Jugendliche?

Zudem zeigen politische Themen, die das Potenzial haben, Generationen in ihrer Meinung zu spalten, wie sich der demografische Wandel auf die Demokratie auswirken kann: Wir leben in einer immer älter werdenden Gesellschaft, in der sich das Machtverhältnis von jung zu alt zusehends verschiebt. Am Beispiel des Brexit-Referendums 2016 können wir sehen, wie verheerend es sein kann, wenn die jungen, nachkommenden Generationen aus richtungsweisenden Entscheidungen eines Landes ausgeschlossen werden. 59% der Menschen über 65 votierten für den Austritt aus der EU. Bei den 18-24-jährigen waren es gerade mal 23%. Drei von vier Briten unter 24 sehen ihre Zukunft in oder mit der EU. Man kann also mit großer Wahrscheinlichkeit feststellen, dass die unter 18-jährigen beim Brexit-Referendum das “Zünglein an der Waage” gewesen wären und den Brexit verhindert hätten. Hätten

Wahlalter Null

Der Grundsatz einer Demokratie ist: “Jedem*r Bürger*in eine Stimme”. Zur Zeit scheint er aber eher zu lauten: “Jedem*r Bürger*in eine Stimme, außer den unter 18-jährigen, denn die haben überhaupt kein Interesse an Politik und würden es ohnehin gar nicht verstehen.”.  Diese Annahme bezweifle ich. Ich denke mit einer Herabsetzung des Wahlalters würde das Interesse an Politik bei den unter 18-Jährigen rapide steigen. Die Parteien müssten bei Kindern und Jugendlichen ihre Stimmen kämpfen, da diese nun potenzielle Wähler*innen wären. Außerdem würden politische Themen in der Schule, zu Hause und dem sozialen Umfeld deutlich stärker diskutiert werden.

Also sollten wir uns fragen, wie die Herabsetzung des Wahlalters real funktionieren kann. Denn eins steht fest: Ein Dreijähriger wird wohl kaum an einem Wahlsonntag ins Wahllokal schlendern, um – nach einer gründlichen Auseinandersetzung mit allen politischen Positionen – sein Urteil zu fällen.

Bildquelle: Pixabay

Dieses Beispiel skizziert die Problematik rund um die Forderung nach dem „Wahlalter 0“ (auch: „Kombinationsmodell“). Diese sieht vor, dass die Eltern das Wahlrecht für das Kind so lange in Anspruch nehmen können, bis das Kind es einfordert, (da ein Dreijähriger tatsächlich nicht fähig ist ein politisches Urteil zu fällen).

Es ist eine reine Frage des Prinzips, dass die Demokratie jedem ihrer Bürger*innen das Wahlrecht auf Lebenszeit ausstellt. Dieses kann dann selbstverständlich nur durch eine Person in Anspruch genommen werden. Wenn nun Andere (in diesem Falle die Eltern) über den Kopf einer wahlberechtigten Person entscheiden, dann ist dies mit dem Versprechen „jedem*r Bürger*in eine Stimme“ nicht vereinbar. Diese Forderung ist also eine, die ihre Funktionalität vor das Prinzip stellt.

Das Wahlrecht ohne Altersgrenze

In meinen Augen sinnvoller wäre ein sogenanntes „Wahlrecht ohne Altersgrenze“, das durch das „Wahlrecht durch Eintragung“ verwirklicht werden könnte: Jeder deutsche Staatsbürger (und Mensch anderer Herkunft, dem*der nach der jeweiligen Rechtslage erlaubt ist, in Deutschland zu wählen) erhält das Wahlrecht, unabhängig vom Alter. Dabei bleibt ein reguläres Mindestalter von beispielsweise 18 oder 16 Jahren erhalten. Jüngere können jedoch ebenfalls an Wahlen teilnehmen, wenn sie sich selbstständig beim Wahlamt ins Wahlregister eintragen lassen. Vorstellbar ist, dass unterhalb der regulären Altersgrenze die Briefwahl verboten wird, um die persönliche Wahlausübung zu gewährleisten.

Durch das “Wahlrecht ohne Altersgrenze” können die Jugendlichen selbst entscheiden, wann sie sich bereit fühlen, eine politische Entscheidung selbst zu treffen und würden damit ihren Interessen einen Raum in der politischen Debatte schaffen. Die Einführung des sogenannten „echten Jugendwahlrechts“ wäre ein starker und mutiger Schritt der deutschen Demokratie. Denn in Wirklichkeit sind es die kommenden Generationen, die sich mit den Entscheidungen die jetzt getroffen werden, arrangieren müssen. Oder?

 

3 Kommentare
  1. Eine Debatte hierzu würde ich sehr begrüßen. Wenn nun sogar Menschen mit Betreuung wählen dürfen, ist das Wahlalter ja demnach nicht von den kognitiven Fähigkeiten abhängig. Warum nun Kindern unter Verweis auf den Mangel an ebendiesen Fähigkeiten das Recht zu wählen abgesprochen wird, ist nicht nur unverständlich, sondern auch ungerecht.
    Sind den Kinder nicht ebenso Menschen in Betreuung? In Betreuung durch ihre Eltern, bis man von ihnen annimmt, sie seien nun in der Lage, selbst für sich einzustehen.
    Wenn Menschen mit Behinderung, Alte und Demente ihr Wahlrecht für immer behalten können, ist ein Wahlrecht ab 0 ebenso nötig.
    Die pauschale Einteilung nach dem Alter der Person beschreibt nicht die Realität, sondern vereinfacht und verengt den Sachverhalt auf eine zwar gut messbare, jedoch für die Entscheidungskompetenz einer Person ziemlich irrelevante Größe.
    Mit dem Wahlrecht ab 18 wird Jahr für Jahr eine ganze Generation vom Wählen ausgeschlossen. Das ist fatal. Denn diese Generation stellt unsere Zukunft dar. Wenn wir noch nicht einmal versuchen, die Bedürfnisse und Erwartungen der Jugend zu verstehen, ist es nicht selbstverständlich, dass wir bei späteren Entscheidungen noch irgendetwas zu sagen haben werden.
    Es kann passieren, dass uns die Übergangenen übergehen werden. Es folgt ein einsamer Tod…

Schreibe einen Kommentar
Ähnliche Artikel
Mehr lesen

Die Digitalunion die EU und das Netz

Europa muss seine Zukunft aktiv gestalten, wir können nicht erwarten, dass wir einfach so vor uns hin trotten können und am Ende alles gut wird. Das gilt überall, aber vor allem bei der Digitalisierung. Wir müssen steuern, nicht gesteuert werden. Europa muss dafür dem Internet die Aufmerksamkeit widmen, die seiner Bedeutung gerecht wird. Roman Kritberg über die EU im digitalen Zeitalter und wie sie sich nach estnischem Vorbild zu einer digitalen Demokratie entwickeln könnte.
Mehr lesen

Todesfalle Lesbos

Ein Ausbruch des Coronavirus in den überfüllten und schlecht versorgten Flüchtlingslagern auf den griechischen Inseln wäre verheerend. Werden die Geflüchteten nicht umgehend evakuiert, befinden sie sich in einer Todesfalle, kommentiert Yannis Mühlstraßer.