Nicht verhandelbar Warum eine Einigung bei den Brexit-Verhandlungen nahezu unmöglich ist

Als Theresa May vor fast drei Jahren die Nachfolge des damaligen Premierministers David Cameron antrat, war allen Beteiligten bewusst, dass mit den Brexit-Verhandlungen eine nie dagewesene Herausforderung auf May wartete. Nicht ohne Grund hatte sich der damalige Favorit für das Amt des Premierministers Boris Johnson, der Anführer der Brexit-Kampagne, aus der Verantwortung gezogen und seine Kandidatur zurückgezogen. Dass May aber nach über zwei Jahren Verhandlung zwischen Großbritannien und der EU wenige Tage vor dem geplanten Austrittsdatum am 29. März praktisch mit leeren Händen dastehen würde, hätten sich die Premierministerin und Brexiteers damals nicht in ihren schlimmsten Alpträumen vorstellen können.

Man möchte mit May inzwischen fast Mitleid bekommen. Mehr als Dienstbotin denn als Premierministerin reist sie zwischen ihrem Parlament in London und der EU-Führung in Brüssel hin und her, nur um mit den mühsam bei der EU eingeholten Zugeständnissen bei den Abgeordneten in London gleich mehrfach aufzulaufen. Ihr fehlendes Durchsetzungsvermögen im Unterhaus und in ihrer eigenen Partei ist ihr größtes, selbstgeschaffenes Hindernis auf dem Weg zu einer Einigung in Großbritannien und mit der EU. May hätte sich im Unterhaus von Anfang an Akzeptanz verschaffen und als britische Verhandlungsführerin und nicht als Vermittlerin zwischen den Brexiteers im Unterhaus und der EU-Führung agieren müssen. Das nicht zu tun, war ihr erster, großer Fehler. Ihren zweiten und nun noch schwerwiegenderen Fehler beging sie, als sie vor knapp zwei Jahren vorgezogene Parlamentswahlen abhalten ließ und als Resultat ihre – wenn auch mit einem Sitz zuvor sehr knappe – Mehrheit im Unterhaus einbüßte. Mit einer Mehrheit im Unterhaus könnte sich May zumindest auf der Insel mehr Rückhalt verschaffen und wäre nicht vom Wohlwollen der EU27-Staaten und dem der Abgeordneten im Unterhaus abhängig.

Für eine Strategieänderung Mays ist es jetzt zu spät. Wären die Brexit-Verhandlungen die Titanic, so stünde ihr Zusammenstoß mit dem Eisberg kurz bevor, nur die Mannschaft würde immer noch streiten, ob sie das Schiff nach der Kollision geordnet oder ungeordnet verlassen soll.

Großbritannien steuert führerlos geradewegs auf die nur noch wenige Wochen entfernte Katastrophe eines No-Deal-Brexits zu. Sollte das von May ausgehandelte Abkommen diese Woche im Unterhaus zum dritten Mal keine Mehrheit finden, muss das Vereinigte Königreich die EU am 12. April verlassen, ohne Abkommen. Millionen Briten und EU-Bürger wären dann ohne Aufenthaltsberechtigung in Großbritannien bzw. der EU, urplötzlich wären Zollkontrollen fällig, kein freier Waren- und Personentransport zwischen der Insel und dem Kontinent mehr möglich.

Doch es ist nicht Mays schlechte Verhandlungsstrategie, mit der sie die Brexit-Verhandlungen so nahe an die Katastrophe geführt hat. Mays eigentliches Versagen liegt darin, dass sie den Brexit-Hardlinern auf der Insel, die nicht im Stande waren das selbst zu erkennen, nicht klar gemacht hat, dass eine Einigung in den Brexit-Verhandlungen in deren Sinne nicht möglich ist. Denn ein Brexit, wie ihn die „Leave“-Kampagnenführer (Johnson, Farage und wie sie alle heißen) so blumig beschrieben, ist – oh Wunder – mit den Grundprinzipien der EU unvereinbar. Das mag banal klingen – schließlich will das UK ja eben jenen Prinzipien den Rücken zukehren – ist jedoch der Grund, einen für beide Seiten einigermaßen erträglichen Brexit als unmögliche Aufgabe betrachten zu können.

Zumindest auf europäischer Seite ist man sich dieses Problems schon seit Beginn der Verhandlungen bewusst. Im Dezember 2017 präsentierte der europäische Verhandlungsführer Michel Barnier den Staatschefs der verbleibenden 27 EU-Staaten im Europarat ein Schema, in dem die Beziehungen der EU mit den Ländern beschrieben werden, die zwar nicht in der eigentlichen Kern-EU sind, jedoch eng mit ihr kooperieren. Das Schema kommt zu dem Schluss, dass – sollte das UK auf seinen Forderungen verharren – ein Freihandelsabkommen, ähnlich wie das mit Kanada, zwischen der EU und Großbritannien die einzige Lösung ist, um einen No-Deal-Brexit zu vermeiden. Die Forderungen Großbritanniens für die zukünftigen Beziehungen mit der EU sind unvereinbar mit jedem bisherigen Beziehungsmodell.

Erstellt und übersetzt nach “Slide presented by Michel Barnier, European Commission Chief Negotiator, to the Heads of State and Government at the European Council (Article 50) on 15 December 2017”


Eine Beziehung mit Großbritannien wie die mit Norwegen (oft als „EU light“ bezeichnet) könnte Reisefreiheit und freien, zollfreien Handel gewährleisten. Allerdings lehnt London die dafür notwendige Mitgliedschaft im EU-Binnenmarkt ab, weil Großbritannien so auch die Gerichtsbarkeit des Europäischen Gerichtshofs anerkennen und sich an europäische Handelsrichtlinien halten müsste.

Auch ein Status, wie ihn die Schweiz in der EU hat, ist angesichts eben derselben Forderungen der „Brexiteers“ nicht möglich. Auch hier bliebe Großbritannien im Binnenmarkt und müsste sich finanziell am EU-Haushalt beteiligen.

Selbst entferntere Beziehungen der EU wie die mit der Ukraine oder der Türkei sind also mit dem Vereinigte Königreich nicht denkbar, weil es sich dann entweder der Gerichtsbarkeit des EuGH oder einigen Handelsrichtlinien der EU unterstellten müsste.

Donald Tusk, Präsident des Europäischen Rates, hat die Haltung der EU zur Frage nach den zukünftigen Beziehungen mit Großbritannien bereits vor einem Jahr klar gemacht und zu verstehen gegeben, dass es nicht in Frage komme, dass ein Drittstaat „Rosinenpickerei“ betreibe. Beispielsweise könne die EU nicht damit einverstanden sein, dass das Vereinigte Königreich dieselben Rechte wie Norwegen erhält, aber nur Pflichten wie Kanada übernimmt.

Der einzige Ausweg aus der vertrackten Situation ist demzufolge, dass Großbritannien von einigen seiner Forderungen Abstand nimmt. In dem mit der EU letztendlich ausgehandelten Deal hat May das auch getan. Sie hat Zahlungen an die EU in Millionenhöhe bewilligt. Für die Problematik der nordirischen Grenze hat sie sogar selbst vorgeschlagen, dass Nordirland im europäischen Binnenmarkt und das UK in der Zollunion verbleiben. Auf der anderen Seite hat ihr die EU zugesichert, Großbritannien dort nicht länger zu halten, als bis eine langfristige Lösung gefunden wurde.

Mays Deal ist also tatsächlich die momentan einzige, umsetzbare Lösung, die noch dazu für beide Seiten verkraftbar wäre. Das Problem ist nur, dass die Brexit-Hardliner auf ihrer Position beharren und Mays Zugeständnisse an die EU (sofern man in ihrer Position als diejenige, die etwas von der EU möchte, von „Zugeständnissen“ sprechen kann) als schädlich für ihr Land betrachten. Genau dieses Verhalten und die daraus resultierenden unmöglichen Brexit-Verhandlungen sind doch das eigentlich „Schädliche“ für Großbritannien. Um diesen Schaden ansatzweise zu minimieren, müssten die Abgeordneten im Unterhaus diese Woche für Mays Deal stimmen oder noch besser die Regierung beauftragen, Artikel 50 des EU-Vertrages und damit den Brexit zu widerrufen. Auch wenn sie damit das Ergebnis des Brexit-Referendums missachten würden: Volksvertreter zu sein heißt nicht immer, im Sinne des Volkes zu handeln, sondern vor allem zum Wohle des Volkes.

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