Reform per Vorschlaghammer Emmanuel Macron setzt seine umstrittenen Rentenpläne um

Bild: Assemblée Nationale

Mittwochnacht in der Nationalversammlung: Ein Misstrauensantrag von Rechts und einer von Links scheitert. “Folglich gilt der Gesetzentwurf zur Schaffung eines universellen Rentensystems als angenommen”, sagt Richard Ferrand, der Präsident der Nationalversammlung anschließend, vor den dreißig Parlamentariern und den wenigen Regierungsmitgliedern, die zu dieser späten Stunde noch anwesend sind. Doch was haben Misstrauensanträge mit einer Rentenreform zu tun?

Das Ganze hängt an einem Artikel der französischen Verfassung, dem Artikel 49.3. Dieser erlaubt es der Regierung das übliche parlamentarische Prozedere von Debatte und Abstimmung über ein Gesetz zu überspringen. Dazu wird das Gesetz an ein Misstrauensvotum geknüpft. Scheitert dieses Votum im Parlament, gilt das Gesetz als angenommen.

Gegner des Präsidenten und seines umstrittenen Prestigeprojektes gingen und gehen auf die Straße und konservative Republikaner wie radikale Linke sind sich in ihrer Ablehnung gegen das Vorgehen Macrons einig. Der Chef der Linken, Jean-Luc Mélenchon, sieht hinter dem Einsatz des Artikels 49.3 sogar einen „totalitären Antrieb“. Die geladene Stimmung ist aber mehr auf die hochumstrittenen Rentenpläne Macrons zurückzuführen, als auf den Einsatz von Artikel 49.3, dessen sich schon Macrons Vorgänger Hollande und Sarkozy bedienten, um umstrittene Projekte durchzusetzen.

Die Regierung von Emmanuel Macron begründete ihre Entscheidung für Einsatz des Artikels mit der schieren Zahl der von der Opposition gestellten Änderungsanträgen. Diese hatte insgesamt fast 41.000 Änderungsanträge eingebracht, wohl auch um die Reform zu verlangsamen. Und sie hatte damit Erfolg: Nach zwei Wochen Debatte waren gerade einmal 10 Prozent der Anträge verhandelt. Das Prozedere hätte sich also noch monate- oder jahrelang hinziehen können. Das wollte sich die Regierung Macron nicht bieten lassen, zumal die Zeit drückt und die Regierung ihre Reform bis zur Sommerpause unter Dach und Fach bringen will.

Doch nicht nur in der Bevölkerung und in der Opposition gibt es Gegner dieser Vorgehensweise. Wegen der Aktivierung des Artikels 49.3 verließen zwei Abgeordnete Macrons Partei „La République en Marche“ (LRM/Renew), wo das Vorgehen der Regierung gerade im linken Flügel für Vorgehen für Unmut sorgte. Die Parlamentsmehrheit von Macron und seiner LRM schrumpft damit auf 298 Abgeordnete, seit 2017 haben 15 Abgeordnete die Partei und die Fraktion verlassen. Sollten sich noch 10 weitere Abgeordneten von LRM verabschieden, hätte Macron keine Mehrheit mehr.

Um was geht es im Streit um die Rentenreform?

Frankreich hat ein sehr kompliziertes, zersplittertes und teures Rentensystem, in dem Bahnangestellte, Anwälte und Operntänzerinnen jeweils eigene Rentenkassen haben. Insgesamt gibt es 42 Spezialrentenkassen, die nun in ein einheitliches und vereinfachtes Punktesystem überführt werden sollen. Auch die gesetzlichen Regelungen sind für jede Berufsgruppe meist unterschiedlich. Das soll vereinheitlicht werden.

Viele Franzosen haben die Sorge, dass sie durch die Neuregelung finanziell wesentlich schlechter dastehen könnten. Gerade die heftig streikenden Eisenbahner haben viele Privilegien, um die sie fürchten. Das Renteneintrittsalter für Lokführer lag zum Beispiel bisher bei 52 Jahren.

Die Regierung versucht die Bedenken zu zerstreuen. So soll den Angaben von Premierminister Philippe zufolge keine Rente sinken und die Reform erst 2037 vollständig greifen. Außerdem wird eine Grundrente in Höhe von 1000 Euro eingeführt und die Regierung ist im Angesicht der Proteste von ihrem Ziel, das Renteneintrittsalter auf 64 Jahre zu erhöhen abgerückt.

Schon die monatelangen Streiks im letzten Jahr waren eine Reaktion auf die Pläne Macrons. Dieser hatte seine Reformpläne schon im Wahlkampf vor drei Jahren vorgestellt. Anders als Nicolas Sarkozy, der die Franzosen 2010 mit der Anhebung des Rentenalters von 60 auf 62 Jahre überraschte.

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