Bürgergeld, Mindestlohn und Kindergrundsicherung Wie die SPD den Sozialstaat reformieren will...

SPD-Chefin Andrea Nahles via Pixabay

Die SPD befindet sich in einem Tief. Den Leidensweg der Partei können inzwischen alle miterleben. Als Martin Schulz nach der Bundestagswahl 2017 ankündigte, in keinem Falle mit der Union eine Regierungskoalition einzugehen, erlebte Deutschland nach einem ereignisreichen Wahlkampf und der Entgleisung des Schulz-Zuges eine verzweifelte, aber (scheinbar) entschlossene SPD. Man erlag der Hoffnung die SPD könne in der neuen Legislaturperiode aus der Opposition heraus starke, sozialdemokratische Akzente setzen und sich neu aufstellen, aber: Pustekuchen! Christian Lindner stellt Eigeninteresse vor staatspolitische Verantwortung seiner Partei und bringt die deutsche Sozialdemokratie somit in Bedrängnis. Die SPD entschied nun, per Mitgliedervotum, eine Koalition einzugehen. In den Augen vieler war das das schlechteste aller Szenarien nach der Bundestagswahl. In den Augen der Öffentlichkeit ließ sich die SPD bereitschlagen und steht als Mehrheitsbeschaffer für die Union da. Womöglich hat Martin Schulz am Wahlabend den ersten Spatenstich für das „unter 20%-Grab“ der Sozialdemokratie gesetzt. Fakt ist: Die SPD ist gefangen. Zumindest bis zur selbst gesetzten „Halbzeit“ im Herbst 2019.

In dieser Zeit der politischen Talfahrt gibt es verzweifelte Versuche sich dem „Fluch GroKo“ zu entziehen und sich vom Koalitionspartner abzugrenzen. Die SPD möchte sich in Regierungsverantwortung neu erfinden. Doch helfen die kürzlich vorgestellten Reformpläne das soziale Profil der Sozialdemokraten zu schärfen?

Die wichtigsten Punkte:

Die Sozialdemokraten wollen den derzeitigen Mindestlohn von 9,19 EUR auf 12 EUR erhöhen. Zudem soll ein verbindlicher Rahmen für Mindestlöhne und Grundsicherungssysteme innerhalb der EU durchgesetzt werden. Die Tarifbindung von Unternehmen soll in Zukunft durch steuerliche Vorteile angeregt werden.

Unter dem Motto „Arbeit, die zum Leben passt“, fordert die SPD, ein Recht auf mobiles Arbeiten und Homeoffice gesetzlich zu verankern,  aber auch Beschäftigte vor der Anforderung einer ständigen Erreichbarkeit durch den Arbeitgeber zu schützen. Zudem sollen partnerschaftliche Arbeitsmodelle gestärkt werden, um mehr Zeit für die Familie zu schaffen.

 Das Reformpapier sieht außerdem vor, dass der Staat für jede*n Bürger*in ein Zeitkonto einrichtet. Auf diese Zeitkonten soll „Zeit“ angespart werden, indem Arbeitnehmer*innen Überstunden in Zeitguthaben umwandeln können, das auch bei einem Betriebswechsel übertragen wird. Zusätzlich kann für das Zeitkonto ein zeitliches Startguthaben vorgesehen werden.

Besonders Kinder von Alleinerziehenden sollen von der „Kindergrundsicherung“ profitieren, die z.B. das Kindergeld, den Kinderfreibetrag, oder den Kinderzuschlag – und so das bisherige System – vereinfacht. Derzeit sparen Gutverdiener durch die Kinderfreibeträge deutlich mehr Steuern als die 194 Euro momentan, die es im Monat Kindergeld gibt. Der Staat gibt reicheren Eltern also mehr Geld für ein Kind als ärmeren.  Die Leistungen sollen digital beantragt werden können.

Mit dem Bürgergeld will die SPD Hartz IV hinter sich lassen. Das umfangreiche Konzept sieht vor, dass es für Arbeitssuchende deutlich länger Geld aus der Arbeitsversicherung gibt und langjährig Versicherte automatisch mehr Geld bekommen. Der Unterschied zum Status quo ist durchaus beträchtlich: Statt wie bisher nach einem Jahr muss das Ersparte erst nach frühestens drei Jahren Arbeitslosigkeit angetastet werden. Außerdem soll jede*r Bürger*in in der Grundsicherung ein Recht auf die Förderung eines Berufsabschlusses erhalten und während der Zeit der Ausbildung einen finanziellen Bonus gezahlt bekommen. An der Höhe des Regelbedarfs will die SPD jedoch nichts ändern.

Ergänzt wird das Reformpapier durch die von Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) vorgestellte „Respekt-Rente“. Der Arbeitsminister bezeichnet das aktuelle Rentensystem als „respektlos und unwürdig“ und fordert eine Rentenreform, die den Rentner*innen mehr Geld für ihre Lebensleistung lässt. Im Kern sollen kleine Renten per Zuschlag erhöht werden. Voraussetzung dafür sind mindestens 35 Jahre Einzahlung in die Rentenkasse. Für Beschäftigte, die ihr Leben lang auf Mindestlohnbasis arbeiteten soll es den maximalen Aufschlag von 447 Euro geben. Eine „Bedürftigkeitsprüfung“, wie sie derzeit vorgenommen wird, soll es nicht mehr geben. Die „Respekt-Rente“ soll spätestens zum 1. Januar 2021 in Kraft treten.

Unterm Strich:  Es stimmt, die SPD lässt Hartz IV hinter sich und stellt das System so um, dass es einen neuen Namen verdient. Der bisweilen harte Absturz in die Arbeitslosigkeit wird vom Staat abgefedert. Allerdings bleibt bei dem Konzept die Frage nach der Finanzierung. Finanzminister Olaf Scholz (SPD) betont zwar, dass das Programm nicht so teuer werde, wie viele vermuten, nennt aber keine genauen Zahlen. Womöglich ließen sich die Vorhaben durch Steuererhöhungen und das Wegfallen des Ehegattensplittings bezahlen. Der SPD gelingt ein Reformvorschlag, der Arbeitssuchenden auf Augenhöhe begegnet und in „Fordern und Fördern“ das „Fördern“ betont. Die deutsche Bevölkerung befürwortet die vorgestellten Reformvorschläge. Die SPD ist laut einer aktuellen Emnid-Umfrage bundesweit mit 19% wieder zweitstärkste Kraft. Die SPD-Führung hat noch weitere Reformpakete angekündigt.

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