Venezuela – Dem Abgrund so nah Wenn Öl und Korruption ein Land zerstören…

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Einst das Land mit dem höchsten Lebensstandard und Bildungsgrad auf dem südamerikanischen Kontinent erlebt Venezuela nun einen beispiellosen Abstieg in eine politische, wirtschaftliche und humanitäre Krise ungeahnten Ausmaßes. Das letzte sozialistische Land auf dem amerikanischen Kontinent ist politisch tief gespalten; seit Januar hat Venezuela im Prinzip zwei Präsidenten.

Auf der einen Seite steht Präsident Maduro, der in Venezuela seit dem Tod des charismatischen und von vielen Venezolanern verehrten Hugo Chávez mit harter Hand regiert und in eine Diktatur geführt hat. Nach seinem Amtsantritt im Jahr 2014 hat Maduro die in Venezuela wenigstens teilweise vorhanden demokratischen Strukturen immer mehr abgebaut, um schließlich vor zwei Jahren durch eine von ihm einberufene verfassungsgebende Versammlung das von der Opposition kontrollierte Parlament faktisch zu entmachten. Die Politik des Präsidenten führte zu Massenprotesten der venezolanischen Bevölkerung, die – befeuert durch die Misswirtschaft des Präsidenten und die schlechte wirtschaftliche Situation im Land – zu gewalttätigen Auseinandersetzungen mit der Polizei, dem Militär und den Unterstützern Maduros führten. Im Januar dieses Jahres entwickelte sich der Konflikt schließlich zum offenen Machtkampf, als sich der Präsident des entmachteten Parlaments Juan Guaidó zum Interimspräsidenten Venezuelas erklärte und auch prompt von den meisten südamerikanischen Ländern, den Vereinigten Staaten, der EU und anderen Ländern der sogenannten „freien Welt“ als rechtmäßiger Präsident der Bolivarischen Republik Venezuela anerkannt wurde. Andere Staaten wiederum – allen voran Russland und China – unterstützen den sozialistischen Machthaber Maduro.

Der Machtkampf zwischen Maduro und Guaidó ist also vor allem auch ein Konflikt der politischen Systeme, ein Stellvertreter-Konflikt. So ist die sowohl finanzielle als auch moralische Unterstützung, die beide Kontrahenten aus dem Ausland erhalten, gerade für die involvierten Großmächte alles andere als uneigennützig. Für Russland stellt Maduro nicht nur den wichtigsten, sondern auch letzten Verbündeten auf dem amerikanischen Kontinent dar. Der russische Mineralölkonzern Rosneft verfügt zudem über große Anteile an den größten Erdöl-Förderungsprojekten Venezuelas. China zahlt dem venezolanischen Staat jedes Jahr Milliarden und erhält im Gegenzug Unmengen preiswerten Erdöls. Auf der anderen Seite stehen vor allem die Vereinigten Staaten, die trotz ihrer kritischen Haltung zu Präsident Maduro wichtigster Handelspartner Venezuelas sind. Fast 40 Prozent aller Erdölexporte gehen in die USA. Trump hat dementsprechend großes Interesse an einem ihm gut gesonnen Staatschef in Venezuela, den er in Guaidó finden würde. Sein Sicherheitsberater John Bolton geht sogar noch weiter und stellt in einem Interview bei FoxNews fest, dass es für die USA ökonomisch einen großen Unterschied machen würde, wenn man amerikanische Ölkonzerne dazu bringen könnte, „wirklich zu investieren und die Ölressourcen von Venezuela zu fördern. Das wäre gut für die Menschen in Venezuela und in den Vereinigten Staaten.“



Die mächtigen Schutzpatrone der beiden Kontrahenten in Venezuela haben also vor allem ein ökonomisches Interesse an einem Sieg von ihrem jeweiligen Schützling. Ihr Eingreifen – vor allem Trumps voreiliges Androhen einer militärischen Intervention der USA – hat den Konflikt in Venezuela noch mehr angeheizt und die Krise im Land befeuert. Das geht natürlich vor allem zu Lasten der Bevölkerung Venezuelas, das auf eine humanitäre Katastrophe zusteuert.

Aufgrund der Hyperinflation von über 1,3 Millionen Prozent und einer generellen Nahrungsmittelknappheit, leiden große Teile der Bevölkerung Hunger. Schätzungen zufolge sind über die Hälfte der Minderjährigen unterernährt. Wer nicht zu den über drei Millionen Venezolanern gehört, die das Land schon verlassen haben und vor allem nach Kolumbien, Spanien und in die USA geflüchtet sind, für den bietet der florierende Schwarzmarkt oft die einzige Möglichkeit an Nahrung zu kommen. Die Preise sind horrend. So kostet ein Kilo Nudeln auf dem Schwarzmarkt zuweilen über 100.000 Bolívar, die Banken zahlen oft allerdings nicht mehr als 10.000 Bolívar pro Tag aus. Zwar gibt es auch eine Vielzahl an staatlichen Lebensmittel-Ausgabestellen, doch die können den Bedarf kaum decken und warten selbst oft vergeblich auf Lieferungen.

Aus Kostengründen musste die venezolanische Regierung schon wichtige medizinische Einrichtungen verkleinern oder gar schließlich. Als Folge brach das Gesundheitswesen zusammen, eigentlich eingedämmte Krankheiten wie Tuberkulose und Malaria tauchen vermehrt wieder auf, viele der schon unterernährten Säuglinge können nicht mehr versorgt werden.

Schuld an der humanitären Krise ist – so seltsam es auch klingen mag – das Erdöl. Denn hatte Venezuela seinen vergangenen Reichtum seinen reichen Ölvorkommen zu verdanken, so besiegelten diese auch den Zusammenbruch der venezolanischen Wirtschaft. Die Wirtschaft des Landes besteht nämlich praktisch nur aus der Erdölförderung. 90 Prozent aller Exporteinnahmen werden aus dem Geschäft mit Erdöl generiert. Gewinne des staatlichen Ölkonzerns PDVSA fließen direkt in den Staatshaushalt. Weil Venezuelas Wirtschaft so nicht ausreichend diversifiziert ist, muss die Regierung selbst überlebenswichtige Medikamente, Nahrungsmittel und andere Rohstoffe importieren. Venezuelas wirtschaftliche Situation war dementsprechend immer eng mit dem Ölpreis verbunden. Fiel dieser stark, fehlte das Geld für die Importe von Lebensmitteln und Medikamenten, aber beispielsweise auch für die Betreibung von Krankenhäusern und Schulen. Der sinkende Ölpreis hatte immer auch eine starke Inflation zur Folge.



Die momentane wirtschaftliche Misere allerdings ist nicht die Folge eines zu niedrigen Ölpreises und übertrifft alle bisherigen Krisen des Landes. Obwohl Venezuela über mehr als 17 Prozent und damit die größten Erdölvorkommen verfügt, produziert es nur gut 2,5 Prozent des weltweit geförderten Erdöls und lag 2016 damit auf Platz 11 der Länder mit den größten Erdölförderungen. Die Erdölförderung in Venezuela ist sogar rückläufig. Das wiederum ist die Folge eines massiven Investitionsstaus beim Staatskonzern PDVSA. Die meisten Förderungsanlagen sind veraltet. Die Milliarden, die jährlich vom Staatshaushalt und aus anderen Ländern in die Erneuerung der Anlagen und Erschließung von neues Erdölfeldern fließen sollten, landen vor allem in die Taschen korrupter Militärs, Manager und Staatsbeamter. Die Korruption ist sicher der größte Hemmer der venezolanischen Wirtschaft. Sie wird maßgeblich durch Maduro gefördert, der hohe Militärs und Wirtschaftsvertreter durch die großzügige Vergabe von Ämtern und Auszeichnungen an sich bindet.

Trotz seines harten Vorgehens gegen jeglichen Widerstand steht immer noch ein großer Teil der Bevölkerung hinter Maduro. „Chavisten“ werden seine Unterstützer genannt, denn sie sehen ihn als Nachfolger Hugo Chávez´, der Venezuela von 1999 bis 2013 regierte. Er war ohne Zweifel alles andere als ein Demokrat, aber unter ihm erlebte das südamerikanische Land eine Zeit des Wohlstands. Das gelang ihm vor allem durch Investitionen an den richtigen Stellen im Gesundheits- und Bildungswesen. Als einer seiner größten Verdienste wird daher die fast vollständige Alphabetisierung der Bevölkerung angesehen. Die haben manche anderen Länder auf dem südamerikanischen Kontinent heute noch nicht erreicht.

Maduro setzt nicht nur auf seine Rolle als Nachfolger Chavez´. Er stützt seine Macht vor allem auf seine Kontrolle über das Militär. Durch geschickte Propaganda schafft er den Eindruck einer realen und bevorstehenden Invasion durch die USA. Mit dieser Begründung rechtfertigte er auch die Behinderung und Zerstörung von Hilfsgüterlieferung vor allem aus den Vereinigten Staaten, die über die kolumbianische Grenze ins Land gebracht werden sollten. Fakt ist allerdings auch, dass kein UN-Mandat für eine humanitäre oder gar militärische Intervention vorliegt. Dessen Beschluss können Russland und China durch ihr Veto im UN-Sicherheitsrat verhindern. Auch die Anerkennung Guaidós wäre somit eigentlich rechtswidrig.

Aus diesem Grund können diplomatische und wirtschaftliche Sanktionen oder die Entsendung von Hilfsgütern aus den USA oder Europa auch nicht zu einer Verbesserung der Situation für die Bevölkerung beitragen und führen eher zu einer Verschlechterung der Situation. Denn Maduro kann diese Interventionen immer als Einmischung oder gar als Eingriff in die Souveränität Venezuelas darstellen. Internationale Hilfsorganisationen wie das Rote Kreuz beteiligten sich bisher nicht bei der Auslieferung und Verteilung von Hilfsgütern, weil sie befürchteten, von Maduro und seinen Unterstützern als Akteure ausländischer Interventionen betrachtet und in ihrer Arbeit behindert zu werden.

Die katastrophale Lage der Bevölkerung Venezuelas kann nur durch eine Beilegung des Konflikts zwischen Maduro und Guaidó verbessert werden. Solange aber humanitäre Hilfe von beiden Parteien als politisches Instrument verwendet werden kann, wird keine einigermaßen friedliche Lösung der politischen und wirtschaftlichen Krise möglich sein. US-amerikanische und europäische Interventionen sollten einzig das Ziel der Verbesserung der Lage der Venezolaner dienen. Diplomatische und wirtschaftliche Sanktionen treiben das Land nur noch weiter in die Isolation und nehmen den demokratischen Ländern auch die letzte Möglichkeit der Einflussnahme auf die Situation im Land. Ein „Regimechange“, wie er in Irak und Afghanistan durch die USA erfolgte, führt – wie wir noch heute erleben – weder kurz- noch langfristig zum Erfolg.

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