Tag der deutschen Gemein(sam)heit

Es ist der 3. Oktober. Der Tag im Jahr, an dem wir an eines der wichtigsten, wenn nicht sogar das wichtigste historische Ereignis der jüngeren deutschen Geschichte erinnern. Ein Tag, dessen Besonderheit sich für viele Bürger in unserem Land nur daraus ergibt, dass sie an diesem Tag frei haben ohne Urlaub nehmen zu müssen.

Es ist das dritte Mal, dass ich den 3. Oktober in Süddeutschland erlebe und es ist auch das dritte Mal, dass ich an einem 3. Oktober gefragt wurde, ob ich, ein gebürtiger Ostdeutscher, mich eher als „Ossi“ oder „Wessi“ fühle. Es ist auch das dritte Mal, dass ich geantwortet habe, dass ich mich sowohl als „Ossi“ und „Wessi“ fühle. Zum dritten Mal ärgere ich mich im Nachhinein über meine Antwort. Schon zweimal habe ich mir vorgenommen zu antworten, dass ich mich als „Deutscher“ fühle und ich von der Kategorisierung in „Ossi“ und „Wessi“ nichts halte. Doch auch dieses dritte Mal habe ich nur wie bei den vorigen geantwortet.

Seit ich in Süddeutschland lebe ist mir klar geworden, wie viel die Deutschen fast 30 Jahre nach der Wende noch zu trennen scheint. Wie viele Deutsche noch in den Grenzen des Kalten Krieges zu denken scheinen und mit „drüben“, den Teil ihres Landes jenseits der alten innerdeutschen Grenze meinen. Deutsche in Ost und West (Sie sehen, dass auch ich mich der Einteilung Deutschlands in diese Kategorien des Kalten Krieges nicht entziehen kann.).

Es werden immer wieder mit Blick auf unsere Nachbarländer Forderungen laut, den Tag der Deutschen Einheit größer zu feiern. Nun, ich glaube nicht, dass der Zustand der Bundeswehr Militärparaden zum 3. Oktober zulassen würde und halte solcherlei militärischen Sperenzchen mit Verweis auf unsere Geschichte und meine grundsätzlich pazifistische Einstellung für deplatziert. Aber es stimmt. Viel zu wenige Menschen in Deutschland nehmen diesen Tag als das wahr, was er ist: Unser Nationalfeiertag.

Es stimmt. In vielen Bereichen unserer Gesellschaft existieren die alten Grenzen noch. Das Rentenniveau in den Bundeländern der ehemaligen DDR ist immer noch unter dem der „alten Bundesländer“. Auch die Lohnunterschiede zwischen Ost und West sind groß. Und ja, die AfD ist in den „neuen Bundesländern“ sehr stark. Doch sind das alles Gründe, mit Neid und Überheblichkeit, Hass und Abneigung auf einander zu schauen? Hatten wir davon im 20. Jahrhundert nicht genug?

Warum wird am 3. Oktober sooft über das gesprochen, was uns teilt und spaltet? Unser Nationalfeiertag sollte der Tag sein, an dem wir stolz darauf sein können, was unsere Nation geeint geleistet hat. An dem wir auf unsere gemeinsamen Höhen und Tiefen erinnern können. 1848 haben in ganz Deutschland Hunderttausende für ein geeintes Deutschland demonstriert, Abgeordnete aus ganz Deutschland haben den ersten Versuch einer deutschen Nation unternommen. Aber auch ein geeintes Deutschland hat die Welt und die Menschheit gleich zweimal an den Abgrund gebracht; das zweite Mal näher denn je. Auch wenn der Ost- und Westteil des Landes danach auch politisch unterschiedliche Wege gingen, so haben doch die Menschen in beiden Teilen ihr Land aus den Ruinen aufgebaut. Und schließlich waren es Bürger aus beiden Deutschlands, die vor fast dreißig Jahren mit Tränen der Freude in den Augen den Fall der innerdeutschen Grenze feierten. Die deutschen Lande waren in ihrer 1000-jährigen Geschichte kaum ein Jahrhundert geeint. Sollten wir mit diesem Wissen und den Erfahrungen des 20. Jahrhundert nicht glücklich und froh darüber sein, dass wir als geeintes Volk in einem friedlichen, demokratischen und reichen Europa leben und gemeinsam für diese Ideale in der Welt kämpfen?

Wenn uns tatsächlich mehr als ein Volk sehen (auch außerhalb des Sports) und auch als ein solches handeln, werden wir erkennen, dass uns mehr eint als uns trennt. Nicht nur unsere Geschichte, Sprache oder Kultur. Nein, auch in Sachen Mentalitäten haben die Deutschen aus Ost und West mehr gemeinsam als man meint, wie ich als notorischer Zuspätkommer in Bezug auf die deutsche Pünktlichkeit nach meinem Umzug nach Süddeutschland leidvoll erfahren musste.

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