Die Rückkehr der Vorstellungskraft Mary Poppins` Rückkehr

Mit der Fortsetzung des beliebten Kinderfilmklassikers „Mary Poppins“ ist in den Kinos derzeit eine neue Disney-Musicalproduktion zu sehen. Dass Disney – besonders innerhalb des vergangenen Jahrzehnts – kräftig aufgefahren hat mit diversen Fortsetzungen und Remakes verschiedener Kultfilme (mit oder ohne Hintergrund in den Disneystudios), das ist sicherlich keine Neuigkeit; der neue „Mary Poppins“-Film scheint schier unterzugehen in der Flut der Hollywoodproduktionen der letzten Jahre. Tatsächlich ist den Machern mit ihrem Projekt aber eine herausragende Fortsetzung und großartige Charakterstudie des magisch begabten Kindermädchens gelungen.

Während der Vorgängerfilm von 1964 in England kurz vor dem ersten Weltkrieg spielt, greift „Mary Poppins- Die Rückkehr“ den historischen Rahmen der Buchvorlage von P.L. Travers auf; so tritt Mary Poppins nun, grob zwei Jahrzehnte nach der Handlung des ersten Filmes und mitten im London der Weltwirtschaftskrise wieder in Erscheinung. Abgesehen davon, dass die beiden Protagonisten im Kindesalter aus dem ersten Film nun selbst als finanzgeplagte Erwachsene zu sehen sind, ist die historische Rahmenhandlung jedoch nebensächlich. Dass der neue „Mary Poppins“-Film in vergangener Zeit spielt, untermalt nur, dass die Aussage des Filmes zeitlos ist. Die nostalgische Ästhetik des Ganzen und auch die nur leicht angedeutete politische Hintergrundhandlung sind nicht auf einer sentimentalen Sehnsucht etwa nach einer „Rückkehr“ in frühere Verhältnisse angelegt und äußern auch kein Unbehagen mit der Unsicherheit und Komplexität der modernen Welt.

Der historische Rahmen scheint auch deshalb nahezu “irrelevant”, weil Mary Poppins nie eine Geschichte der Erwachsenen war; nicht eine jener, die im Zeitgeschehen verwickelt sind, sondern stattdessen eine der Zeitlosen, der Kinder eben. Und Mary Poppins ist auch zeitlos, von ihrem Auftreten, das nahtlos an das gouvernantenhafte Erscheinungsbild des Kindermädchens aus dem Film der 60er anknüpft, bis hin zu ihrer Weltanschauung. Mary Poppins, so scheint es, hat die Weisheit der Kinder begriffen; im neuen „Poppins“- Film womöglich besser, als ihre Schützlinge selbst. Und während sie deren kindliche Phantasie rekonstruiert, die, vielleicht besonders durch die Anhäufung verschiedener Lebenskrisen wie Armut und dem Tod der eigenen Mutter, lange an zweite Stelle gestellt wurde, rekonstruiert sie auch die des Zuschauers; z.B. mit unglaublich bunten und surrealen Aufnahmen und den typisch zynischen Kommentaren, die besonders den Ton der Buchvorlage aufgreifen.

Die Britin Emily Blunt spielt die Mary Poppins etwas steifer, etwas rücksichtsloser, etwas weniger befreit und, im Gegensatz zu ihrer Vorgängerin Julie Andrews, stellenweise durchaus unfreundlich. So steht ihre Interpretation der von Andrews gegenüber, die das Kindermädchen doch etwas eleganter und liebevoller spielt und “ihre” Mary Poppins so auch in den Rahmen des typischen 60er-Jahre Disneymärchens einfügt, dessen Protagonistin doch immer klare Verbindungen zum Rollenbild der 60er-Jahre schafft. Dem entgegengesetzt ist die “neue” Mary Poppins tatsächlich etwas “moderner” und schafft dabei gleichzeitig viel mehr Parallelen zum Buchcharakter als ihre immerfreundliche und etwas hausfrauenhafte Vorgängerin. Die Charakterisierung des Kindermädchens aus P.L. Travers‘ Büchern aus den 30er-Jahren kann durchaus als revolutionär bezeichnet werden, im Hinblick auf die sehr eitle und selbstbezogene, doch auch vollkommen unabhängige und selbstständige Protagonistin (die in der ersten Verfilmung nur äußerst selten durchscheint), die besonders in Bezug zur damaligen Vorstellung, wie eine Frau zu sein hat, das Gegenteil von Konformität widerspiegelt. Insofern haben sich die Produzenten und auch die Hauptdarstellerin der Fortsetzung womöglich die Kritik Travers‘ selbst zu Herzen genommen, die das Disneymusical von 1964 als zu süßlich, die Protagonistin selbst als bloßes „hübsches Mädchen“ abtat, deren Mysteriösität und Vielschichtigkeit kein Raum gelassen wurde.

Natürlich beinhaltet auch der neue „Poppins“-Film Tränendrüsenmomente, ganz klischeehafte Disneymomente, deren Aufbau man sich schon vor der Kenntnis des Inhalts denken kann; mit Mary Poppins‘ Moral, ja, deren tadelndem Blick immerzu im Augenwinkel, dem Gefühl, grundsätzlich ‚mit den Kindern mit‘ erzogen zu werden, schämt man sich fast für seine so sehr “erwachsenen”, analytischen und vor allem zynischen Überlegungen, für den inneren Widerstand, den Teil, der sich weigert, der Intention der Filmemacher nachzukommen und tatsächlich berührt zu sein, wenn der Sohn seinem Vater buchstäblich ein Lied davon singt, dass seine verstorbene Mutter mit ihrem Tod doch nicht im Geringsten einfach “verschwunden” ist. Oder in das begeisterte Raunen einzustimmen, das den Kinosaal erfüllt, wenn Mary Poppins das erste Mal in Erscheinung tritt, als sie sich, sich am Kinderflugdrachen festhaltend, elegant vom Himmel herablässt.

Mary Poppins ist selbst unglaublich unbarmherzig und gnadenlos in ihrem Sarkasmus, der sich grundsätzlich dem eng gefassten, pragmatischen Weltbild der Erwachsenen stellt. Sie spöttelt über jeglichen Kommentar der Kinder, etwas „könnte gar nicht sein“, etwas „gebe es nicht“; stets ironisch pflichtet sie derartigen Aussagen bei und zeigt gleichzeitig mittels magischer Begabung, was alles möglich ist, wenn man sich gegenüber der Welt offen hält und nicht nur die Fassade dessen sieht, was sich vor einem abspielt, nicht nur den „Einband des Buches, sondern auch dessen Inhalt“, wie sie später selbst singt. Und diese Aussage macht auch klar, was die Magie im Film symbolisiert, und warum sie nur einigen, kindlichen Gemütern zugänglich ist. Gegen Ende des Filmes kommentiert Mary Poppins einmal, wir könnten alle so vergnügt und befreit sein, wie wir wollen, wenn wir es uns nur selbst erlauben.

Und befreit geht man auch aus dem Kinosaal, befreit, von einem Hollywood-Musical berührt worden zu sein, befreit von jeglichem analytischen Gedanken und auch jeder Frage nach der “Autorenintention”. Die Message von Mary Poppins, jenes legendären Kinderfilmes von 1964, als auch von dessen Fortsetzung, die aktuell in den Kinos läuft, ist eine, die nicht in viele Worte zu fassen ist; je mehr man sie analysiert und beschreibt, desto schneller altert sie und verliert ihre Originalität. Am besten charakterisieren lässt sie sich wohl durch den Begriff ‘Lebensfreude’.

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