Polen – das Ende der Demokratie? Ein rechter Wind fegt über die Staaten Osteuropas und erfasst Polen...

Warschau: Am 19.7.2018 verabschiedet die polnische Regierung eine neue Justizreform im Sejm (dem polnischen Parlament), die es dem Parlament erlaubt, über den obersten Gerichtshof im Land zu entscheiden. Damit übernimmt das Parlament die Entscheidungsgewalt über die Gerichte im Land. Anders ausgedrückt hebelt die Legislative im Auftrag der  Exekutive offenkundig die Judikative aus. Die Folge: Massenproteste der Bevölkerung in den großen Städten Polens, wie Warschau, Danzig oder Posen, die bis heute anhalten.

Seitdem fragt man sich: wie konnte es zu einem solchen regelrechten Umsturz der demokratischen Werte in einem europäischen Land von heute überhaupt kommen – noch dazu in aller Öffentlichkeit?

Spulen wir noch einmal etwas zurück in der Zeitgeschichte des Landes:

Im Jahr 2015 gewinnt die sogenannte PiS-Partei (Abkürzung übersetzt für „Recht und Gerechtigkeit“) in Polen die Parlamentswahlen mit einem erdrutschartigen Sieg und einer absoluten Mehrheit. Damit ist sie in der Lage, ihre Ideen und Ziele politisch ohne große Probleme durchzusetzen. Diese Macht nutzt sie als erstes, um die Pressefreiheit im Land drastisch einzuschränken und sich die öffentlich-rechtlichen Fernseh- und Radiosender einzuverleiben. Ab sofort senden diese ausschließlich regierungskonforme Nachrichten – so auch der größte Fernsehsender des Landes TVP, den die Mehrheit der polnischen Bevölkerung täglich einschaltet und der in Polen einen Stellenwert einnimmt wie ihn vergleichsweise die ARD in Deutschland hat. Doch gänzlich unbeschwert lässt die polnische Bevölkerung diese absolut einseitig gewordene Medienlandschaft nicht über sich ergehen. Allein im ersten Jahr der PiS-Regierung wurden über 140 Journalisten aus den öffentlich-rechtlichen Medien entlassen oder haben selbst gekündigt. Wie aber konnte eine Partei mit derart autoritären Zügen den Wahlsieg erringen? Dazu schauen wir uns am besten die Partei und ihr Programm etwas genauer an:

Die nationalkonservative PiS-Partei ist eine von zwei großen Parteien in Polen, die stellvertretend für die beiden dominierenden politischen Einstellungen der Bevölkerung Polens stehen. Ihr gegenüber steht die linksliberale PO-Partei (Abkürzung übersetzt für „Bürgerplattform“), die von 2007 bis 2015 die Regierung stellte und seitdem nun die Opposition verkörpert. Mit den beiden politischen Lagern verhält es sich also ähnlich wie mit den Demokraten und den Republikanern in den USA. Seit dem Fall des Eisernen Vorhangs 1989 wechseln sich PiS und PO beinahe von Wahl zu Wahl mit der Oberhand im Parlament ab, der jeweils Andere stellt die Opposition. Beide Parteien genießen bei Gegnern des Kommunismus große Unterstützung. Die PO unter anderem durch ihre pro-europäische und damit pro-demokratische Politik. Die stark katholisch geprägte PIS-Partei durch ihren Bezug zur Kirche, die maßgeblich an der Befreiung des Landes aus der Sowjetunion beteiligt war. Außerdem richtet sich das Augenmerk der Nationalkonservativen klassisch auf die Kleinfamilien und die Landbevölkerung Polens.

So sicherten sie den Familien im Wahljahr 2015 ein neues Kindergeld im Wert von umgerechnet 115 Euro pro Kind zu und ernteten so landesweit viel Zuspruch bei den Wählern. Durch diese familienfreundliche Politik gelang es der Partei, viele Alleinerziehende aus der finanziellen Misere zu holen und sich  den Wahlsieg zu sichern. So gesehen ist die PISPartei gut für ihr Volk und ihr Land. Seit der PIS-Regierung wird vor allem der ländlichen Bevölkerung in Polen politisch mehr Aufmerksamkeit geschenkt. Bisher war sie durch eine  mangelnde Infrastruktur und fehlende Wirtschaftskraft im Vergleich zur modernen und liberalen Bevölkerung der Großstädte abgehängt. Durch das Kindergeld können immer mehr Polinnen zuhause bleiben und sich mehr der Erziehung ihrer Kinder widmen. Die Regierung fördert also – ähnlich wie in Ungarn – das “traditionelle Familienbild”.

Alles schön und gut. Jedoch lässt sich trotz aller positiven Aspekte der aktuellen Regierung nicht leugnen, dass die Demokratie als solche in Polen auf dem Spiel steht.

Die Mitglieder der PiS-Partei sind offen nationalkonservativer bis rechter Gesinnung und ihre Ansichten werden von vielen rechten, inländischen Vereinigungen wie der katholisch geprägten „Polnischen Alljugend“ unterstützt. Geführt wird die Partei von Jaroslaw Kaczynski, dem inoffiziellen Parteichef, der meist im Hintergrund die Fäden zieht und sich offen gegen die Europäische Union ausgesprochen hat. Charakteristisch für die Mitglieder der Partei ist eine nationalistische Rhetorik, die jegliche Opposition (vor allem im Parlament) kaum zu Wort kommen lässt. Außerdem tritt die Partei politisch als migrantenfeindlich auf, da sie gegen eine Aufnahme von Kriegsflüchtlingen in Polen nach europäischer Regelung ist. Doch nicht nur durch Ablehnung von Asylsuchenden macht die Regierung Polens (und damit die PiS-Partei) negative Schlagzeilen. Vor fast einem Jahr erließ sie ein Gesetz, dass verbietet, Polen Mitverantwortung für Verbrechen Nazideutschlands zuzuschreiben. Mit dieser versuchten “Korrektur” der Geschichte möchte die Regierung Polen historisch aus der Affäre ziehen und leugnet dadurch polnische Mittäterschaft an Verbrechen gegen die jüdische Gemeinde. Dementsprechend groß ist der Aufschrei der Betroffenen. Die Beziehungen Polens mit Israel sind seither etwas angespannt.

 

“Im Osten wird es beginnen”

Die Vorgänge in Polen sind in Europa kein Einzelfall. Auch in Bulgarien und Ungarn steht die Demokratie unter Druck. Kaczynski geht mit seiner Partei nach dem Vorbild des ungarischen Premierminister Viktor Orban vor, der seit 2010 im Amt ist und seither eine Umstrukturierung in seinem Land vornimmt. Daher spricht man von den Vorgängen in Polen bereits von einer „Orbanisierung“ des Landes. Verschiedene Experten befürchten, dass der anti-demokratische Geist, der Polen, Ungarn und Bulgarien bereits „befallen“ hat, sich auch auf weitere Mitgliedsstaaten der EU ausbreiten könnte und warnen schon unheilverkündend vor einem „Untergang der Demokratie in Europa“.

Doch um ehrlich zu sein, wann stand es denn zuletzt wirklich gut um die Europäische Union? Sie hat eigentlich durchgehend um ihren Fortbestand zu kämpfen. Dieser ständigen Furcht des Zerfalls der EU sind wir als Europäer schon seit längerem ausgesetzt und haben uns größtenteils schon daran gewöhnt. Egal ob es nun um Wirtschaftskrisen diverser Mitgliedsstaaten geht, um den möglichen Austritt jener, die nicht mehr mitspielen wollen, oder um den eben jetzt rechten politischen Wind aus dem Osten des Kontinents. Bisher konnte die EU als sinnvoller und belastbarer Staatenbund durchaus überzeugen.

Ich denke, dass die Mehrheit der Bevölkerung Polens nach wie vor positiv gegenüber der Demokratie eingestellt ist und sich lediglich von der generösen Familienpolitik der Nationalkonservativen hat blenden lassen. Dieses Jahr sind wieder Parlamentswahlen in Polen. Sie werden mehr denn je über die Zukunft des Landes und auch über die der europäisch-demokratischen Idee entscheiden.

 Es bleibt zu hoffen, dass sich die Bürger Polens nicht ein weiteres Mal werden blenden lassen.

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